Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)
enttäuschen, weder die Eltern noch den Rest der Familie« ( Hamburger Abendblatt , 20. 11. 2008).
Der Unterschied zwischen Kay und Cornelia besteht darin, dass Kay sich der Realität der Überforderung gestellt hat. In seiner Verzweiflung konfrontierte er seine Eltern mit seinem Versagen und zerstörte somit das Wunschbild, das sie sich von ihm gemacht hatten. In beiden Fällen kann man jedoch die große Macht von familiären Erwartungen erkennen, die bei Nichterfüllen zum psychischen Zusammenbruch bis hin zu Suizidgedanken führen können. Diesen massiven Einfluss der Familie findet man vor allem bei nicht abgelösten Kindern, die bis ins Erwachsenenleben versuchen, dem Bild, das die Eltern von ihnen haben, zu entsprechen.
»Wir meinen es doch gut mit dir« – Warum Eltern ihre Kinder überfordern
»His Majesty the Baby, wie man sich einst selbst dünkte. Es soll die unausgeführten Wunschträume der Eltern erfüllen, ein großer Mann und Held werden an Stelle des Vaters, einen Prinzen zum Gemahl bekommen zur späteren Entschädigung der Mutter.«
SIGMUND FREUD , Zur Einführung des Narzißmus
Wenn Eltern an ihre Kinder überfordernde Aufträge stellen, sind diese hin- und hergerissen zwischen dem Eifer, es den Eltern recht zu machen, ihren persönlichen Bedürfnissen und auch ihren eigenen Begrenzungen. Der Kontrast zwischen elterlich erhoffter Großartigkeit und eigener Begrenzung ist immer schmerzhaft, wie Jing-Mei Woo, eine Romanfigur von Amy Tan in Töchter des Himmels , beschreibt:
»Am Anfang versprach ich mir ebenso viel davon wie meine Mutter, vielleicht sogar noch mehr. Ich malte mir eine Wunderkind-Karriere in den verschiedensten Rollen aus: Als zierliche Ballerina wartete ich hinter dem Vorhang auf meinen Auftritt. […] In all meinen Vorstellungen war ich fest überzeugt, bald vollkommen zu werden. Meine Eltern würden mich anhimmeln. Nie würde ich einen Vorwurf zu hören bekommen. Nie wieder würde ich um irgendetwas schmollen müssen.«
Aber Mutter und Tochter finden kein besonderes Talent für Jing-Mei, weder Gesang noch Gedächtnis noch Akrobatik. Und selbst Klavierspielen, die letzte Hoffnung, führt nicht zum Erfolg. Jing-Mei beginnt, sich mit den kritischen Augen ihrer Mutter zu sehen, die mütterliche Enttäuschung wird zur eigenen, sie fühlt sich entwertet:
»Und als ich wieder einmal ihre enttäuschte Miene sah, begann auch meine Hoffnung langsam zu schwinden. Ich hasste die Aufgaben, die hochgeschraubten Erwartungen und meine ewige Unzulänglichkeit. Bevor ich an jenem Abend zu Bett ging, blickte ich in den Badezimmerspiegel, und als ich darin nichts als mein übliches Alltagsgesicht sah – und erkannte, dass es immer dieses gewöhnliche Gesicht bleiben würde –, fing ich an zu weinen. So ein hässliches, trostloses Mädchen! Ich fauchte wie ein in die Enge getriebenes Tier und versuchte, das Gesicht im Spiegel wegzukratzen.«
Wenn ein Kind die elterlichen Anforderungen nicht mehr erfüllen kann oder will, wird es sich überfordert und beschämt fühlen. Gelingt es den Eltern nicht, an diesem Punkt von ihren Wünschen Abstand zu nehmen und ihr Kind mit seinen Stärken und Schwächen anzunehmen, fügen sie ihm eine seelische Verletzung zu. Halten die Eltern an ihren nicht erfüllbaren Erwartungen fest, wird das Kind lernen, dass die Zuneigung seiner Eltern an Bedingungen geknüpft ist und dass es nicht um seiner selbst willen geliebt wird, sondern nur als das Abbild der elterlichen Wünsche. Auf diese Weise entwickelt sich das Gefühl der Entwertung, das sich mit der Zeit in selbstzerstörerischen Glaubenssätzen manifestieren könnte: »Du bist nicht gut genug; du bist wertlos; du bist nicht liebenswert.«
Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Eltern zu hohe Erwartungen an ihre Kinder richten:
»Ich leiste, also bin ich«, lautet das Motto in leistungsorientierten Familien, in denen Kinder über Generationen hinweg von ihren Eltern nur zwei Kriterien für ihren Wert erhalten: sichtbare Leistung und Erfolg. Diese Kinder lernen, sich (und andere) über Leistung zu definieren.
»Dein Erfolg ist mein Erfolg« – in diese Rubrik fallen ehrgeizige Eltern, die ihren Kindern auftragen, stellvertretend für sie Leistungen zu erbringen, um somit ihren eigenen Selbstwert zu erhöhen. Immer dann, wenn Leistung kompensatorisch für etwas anderes, meist das Gefühl für den eigenen Wert, gebraucht und gefordert wird, entstehen so leistungsorientierte Gefüge, dass darin ein
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