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Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Titel: Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Konrad
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Verbrechen zerstört. Während die Opfer oft schwiegen, um sich selbst und ihre Nachkommen vor den traumatischen Erinnerungen zu schützen, hatte das Schweigen der Täter und Mitläufer eine andere Funktion: die Abwehr ihrer Schuld- und Schamgefühle. Neben dem Schweigen ersetzten Mythen eine Fortschreibung der aus unterschiedlichen Gründen unterbrochenen Familiengeschichte.
    Opa war kein Nazi heißt eines der Bücher des deutschen Sozialpsychologen Harald Welzer, der über die familiäre Erinnerungs- und Gesprächskultur hinsichtlich des Nationalsozialismus geforscht hat. Wenngleich Mythen und Geheimnisse die familiäre Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich grundsätzlich trüben, gibt es auch Familien, in denen die Täter sehr wohl – andeutungsweise oder sogar offen – über ihre Taten sprechen. Allerdings verhallen Geschichten, in denen Väter oder Großväter sich als Täter offenbaren, bei den Nachkommen ungehört:
    »Das Erzählen der Taten führt aber nicht zur Bestürzung der Zuhörer, zu Konflikten oder auch nur zu einer peinlichen Situation. Es führt zu gar nichts. Es ist, als würden solche Erzählungen von den anwesenden Familienmitgliedern gar nicht gehört. Offenbar lassen die Loyalitätsbindungen des Familienzusammenhangs es gar nicht zu, dass ein Vater oder Großvater sich als eine Person zeigt, die einige Jahrzehnte zuvor Menschen getötet hat. […] Das Überhören der Tätergeschichten geschieht beiläufig, wie automatisch – das Tonband zeichnet diese Geschichten auf, das Familiengedächtnis nicht.«
    Menschen haben lieber gute Familienmitglieder als schlechte. Wir schauen lieber auf eine angenehme Familiengeschichte zurück als auf eine, die von Schrecken durchzogen ist und in der es sogar Täter, geschweige denn Mörder gab. Also schreiben wir unsere Familiengeschichte so weit um, dass wir uns mit unseren Vorfahren wieder identifizieren können. Es ist paradox:
    »Je umfassender das Wissen über Kriegsverbrechen, Verfolgung und Vernichtung ist, desto stärker fordern die familialen Loyalitätsverpflichtungen, Geschichten zu entwickeln, die beides zu vereinbaren erlauben – die Verbrechen ›der Nazis‹ oder ›der Deutschen‹ und die moralische Integrität der Eltern oder Großeltern.«
    Die scheinbar geglückte historische und gesellschaftliche Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen und der Kriegsschuld führt im emotionalen Kernbereich der Familie dazu, dass eine Spaltung von guten Familienangehörigen auf der einen Seite und bösen Nazis auf der anderen Seite stattfindet. So ist zu erklären, dass ein Großteil der Deutschen, immerhin zwei Drittel der Befragten von Welzers Untersuchung (diese Zahlen decken sich mit anderen Studien), davon ausgeht, dass ihre Familien entweder Opfer der NS-Vergangenheit oder Helden des alltäglichen Widerstands waren.
    Kinder und Enkel entschuldigen die Taten ihrer Ahnen: Diese hätten nicht anders gekonnt, es sei gefährlich gewesen, sich gegen das Regime aufzulehnen, sie hätten alles in ihrer Möglichkeit Stehende getan, sich von den »wahren« Tätern abzugrenzen, und falls sie in die nationalsozialistische Partei eingetreten wären und dort mitgearbeitet hätten, dann vorrangig deshalb, um jüdischen Mitbürgern helfen zu können. Die Mythenbildung nimmt hier groteske Züge an.
    Es wird deutlich: Es ist beileibe nicht nur die Generation der Zeitzeugen, die ihre Rolle verklärt. Familiengeschichten haben offensichtlich den Charakter eines Stille-Post-Spiels: Jeder hört, was er hören will und was sich gefällig in das Bild, das er sich über seine Familienmitglieder und die familiäre Vergangenheit gemacht hat, einfügt. Eine Beschmutzung dieses Bildes wird nicht geduldet, oder, wie der deutsche Psychologe Jürgen Müller-Hohagen feststellt: »Selbstreflexion ist nicht unbedingt eine typisch deutsche Tugend« ( Geschichte in uns) .
    Stattdessen beherrscht oft eine transgenerationale familiäre Verleugnung die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Das Resultat sind Themen in der Familiengeschichte, die nicht beleuchtet werden dürfen. Themen, über die nicht gesprochen werden darf. Und Gefühle, die nicht gefühlt werden dürfen. Das Gebot »Nicht dran rühren und nichts fühlen« ist etwas, was häufig in Nachkriegsfamilien transportiert wurde. So verharren die Nachkommen der Kriegsgeneration – wie ihre Eltern – oft in einer Gefühlsstarre und in einer starken familiären Loyalität, die nicht

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