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Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Titel: Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Konrad
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zulässt, dass man fühlt, hinterfragt oder darüber spricht. Dieses Nichtfühlen lähmt: unsere Gefühle und unsere Beziehungen. Über Generationen hinweg.
    Verschwiegenes und Geheimes
    »Was der Vater schwieg, das kommt im Sohne
zum Reden und oft fand ich den Sohn als des Vaters entblößtes Geheimnis.«
    FRIEDRICH NIETZSCHE , Also sprach Zarathustra
    Geheimnisse wirken: Über diese Aussage stolpern viele und zweifeln – wie kann etwas nie Erzähltes, ein Geheimnis, ein Tabu, ein verschwiegenes Detail so eine starke Wirkung entfalten? Esoterischer Hokuspokus, mag manch einer denken. Ganz normaler Alltag, Realität in Familien, wissen Therapeuten, die in der Arbeit mit ihren Klienten täglich mit den Auswirkungen von familiären Geheimnissen konfrontiert werden. Der international renommierte, kürzlich verstorbene israelische Wissenschaftler Dan Bar-On, der Studien über Täter- und Opferfamilien leitete, behauptete sogar: Geheimnisse wirken stärker als erzählte Geschichten. Marianne Leuzinger-Bohleber, Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt, pflichtet ihm bei: »Nichts ist so wirksam wie das Schweigen. Auch wenn über ein Thema nicht gesprochen wird, wirkt es im Leben eines Kindes weiter und hat Einfluss auf dessen Psyche« ( Die Zeit , 22. 12. 2011).
    Geheimnisse entwickeln sich wie Mythen meist aus Scham und Schuld, mitunter auch aus unverarbeiteter Trauer. Geheimnisse sollen schonen, entweder den Erzähler oder die Familienangehörigen, mitunter auch beide.
    Als ich fünf Jahre alt war, erfuhr ich von meiner Großmutter beiläufig während eines Spaziergangs, dass mein älterer Bruder »nur mein Halbbruder« war und dass meine Mutter vor der Ehe mit meinem Vater schon einmal verheiratet war. Als meine Großmutter erschrocken feststellte, dass ich die Einzige in der Familie war, der diese Information vorenthalten worden war, bat sie mich, niemandem zu erzählen, dass sie sich verplappert hatte.
    Das Konzept eines »Halbbruders« ergab für mich weder Sinn noch einen gefühlsmäßigen Unterschied – ein Bruder war schließlich ein Bruder –, aber was mich für einige Wochen bedrückte, war das Geheimnis, zu dessen Mitwisserin und Trägerin ich geworden war, bis ich es nicht mehr aushalten konnte und mich meinen Eltern offenbarte. Ein unnötiges Geheimnis zog ein weiteres Geheimnis nach sich und führte dazu, dass am Ende alle Beteiligten ein schlechtes Gewissen hatten.
    Wenn ein Geheimnis um etwas gemacht wird, gibt es dafür meist einen triftigen Grund: weil die Gesellschaft, die Familie oder man selbst die Wahrheit nicht gutheißen würde. Geheimnisse schaffen immer eine Grenze – zwischen denen, die es wissen, und denen, die ausgeschlossen sind. Sie schaffen Ängste, entdeckt zu werden. Und oft genug machen sie ein Problem aus etwas, das – wäre es gleich ausgesprochen worden – kein Problem geworden wäre. So wie die Sache mit meinem Bruder.
    Jede Familie hat ihre kleinen und großen Geheimnisse. Es gibt Geheimnisse, die gesunde und wichtige Grenzen zwischen den Generationen herstellen. Und es gibt schädliche Geheimnisse, die krank machen, weil sie auf Lug und Trug basieren und die Mitglieder täuschen und letztlich enttäuschen. Das, was zunächst schützt, kann im Laufe der Zeit zu einer großen Belastung werden. Zudem drängen Geheimnisse auf Entdeckung, auch noch nach Generationen.
    Das Verborgene übt eine unerklärliche Anziehungskraft aus, es kommt zu Wiederholungen, die von den Familienmitgliedern unbewusst ausagiert werden, um das alte Geheimnis aufzudecken und ihm somit die transgenerationale Macht zu nehmen.
    Ein in Hamburg lebendes südamerikanisches Ehepaar suchte mich wegen »Kommunikationsproblemen« in meiner Praxis auf. Auf den ersten Blick waren die beiden ein ungleiches Paar, die 48-jährige Rosa, etwas mollig, kurze Haare, mütterlich, mit einer herzlichen Ausstrahlung, und der 39-jährige Jorge, ein jungenhafter, sportlicher Typ, dem es schwerfiel, in den anderthalbstündigen Sitzungen still zu sitzen. Der tatsächliche Altersunterschied wurde durch den Mutter-Sohn-ähnlichen Umgang der beiden noch verstärkt.
    »Du machst nichts aus deinem Leben, ich schufte für unsere Familie, und du hängst den halben Tag vor dem Computer«, schimpfte Rosa, während Jorge ihr trotzte: »Du hast mir gar nichts zu sagen, ich lebe mein Leben, wie es mir gefällt.« Die beiden waren unzufrieden über die Entwicklung ihrer Beziehung: Jorge fühlte sich gegängelt und unterdrückt, und

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