Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)
rebellieren. Er war sieben Jahre alt, als sein Vater starb, und hat viele gute Erinnerungen an ihn, die er sich nicht kaputt machen lassen will. Er will sein eigenes Leben führen ohne Bevormundung. Er ist alt genug, um auf sich selbst aufzupassen.
Als Max 17 Jahre alt ist, bringt er sich in Schwierigkeiten: Er hat seit einiger Zeit eine Freundin, ihr Geburtstag steht bevor, und er möchte ihr etwas Besonderes schenken. Das Geld, das er sich neben der Schule in einem Café dazuverdient, reicht nicht, um einen Wochenendtrip nach London zu finanzieren. Also klaut Max im Laufe von drei Wochen 500 Euro aus der Cafékasse. Er weiß, dass er einen Fehler begeht, aber er verdrängt die Konsequenzen. Das Wochenende mit seiner Freundin ist wichtig, für alles andere wird er später eine Lösung finden.
Da erwischt Max’ Chef Peter ihn beim Stehlen und wirft ihn enttäuscht hinaus. Er behält sich vor, Anzeige wegen Diebstahls zu erstatten, und ruft Max’ Mutter an, um sie von dem Vorfall in Kenntnis zu setzen. Annika ist wie vom Donner gerührt – nun ist auch Max kriminell geworden, sie malt sich Horrorszenarien aus, macht ihm Vorwürfe und vergleicht ihn erneut mit seinem Vater.
Max schweigt und schämt sich. Alle werden erfahren, was er getan hat. Er verbringt das ganze Wochenende in seinem Zimmer und grübelt. Seine Mutter hat Hausarrest verhängt, aber er hätte ohnehin keine Lust gehabt, unter Leute zu gehen. Alle werden über ihn sprechen. Seine Freundin wird ihn für einen Loser halten.
Immer wieder kommt Annika in sein Zimmer und will mit ihm reden. Wissen, was er sich gedacht hat. Max schweigt weiter. Er überlegt, wie es wäre, wenn er sich am Montagmorgen vor die S-Bahn werfen würde. Der Gedanke ist Furcht einflößend und tröstlich zugleich. Er müsste sich dann keine Gedanken mehr machen. Er wäre alle Sorgen los.
Am Sonntagabend klingelt es an der Haustür. Max’ Chef Peter will mit ihm reden. Er möchte verstehen, was Max dazu gebracht hat, sein Vertrauen zu missbrauchen. Er mag Max, hat ihn als freundlichen, aufgeweckten Jungen kennengelernt, dem er blind vertraut hätte. Max windet sich, aber schließlich erklärt er seinem Chef, wofür er das Geld ausgegeben hat. Es wird ein ernstes, langes Gespräch.
Peter kannte Max’ Vater Steffen flüchtig, er weiß, dass dieser sich das Leben genommen hat, weil er in finanziellen Schwierigkeiten war. Peter spürt, dass Max gerade jetzt eine väterliche Figur braucht, die ihm Orientierung bietet. Deshalb bietet er Max an, das gestohlene Geld, das bereits in nicht rückerstattbare Flugtickets und Unterkünfte geflossen ist, zurückzuzahlen. Dafür müsste er eine gewisse Zeit ohne Lohn im Café arbeiten. Max überlegt eine Weile und fragt dann, wer alles von seinem Diebstahl wisse. Peter hat es bisher niemandem erzählt, und er verspricht, dass es niemand erfahren wird, wenn Max die Konsequenzen dafür trägt. Max willigt ein.
Nach dem Gespräch mit Peter fühlt Max sich schwer und leicht zugleich. Es wird hart sein, die nächsten Monate zu arbeiten und trotzdem kein Geld zu verdienen, aber er ist erleichtert, dass er die Konsequenzen für seinen Diebstahl überblicken kann und Peter diesen nicht an die große Glocke hängt.
Max arbeitet in den nächsten Monaten seine Schulden bei Peter ab. Erst in vielen Jahren wird er verstehen, dass Peter weitaus mehr für ihn getan hat, als ihm einen Diebstahl zu vergeben. Er hat ihm gezeigt, dass es Lösungen gibt, wenn man einen Fehler gemacht hat. Dass man im Leben bleiben kann. Max und Peter bleiben Freunde, auch als Max schon längst nicht mehr in Peters Café arbeitet. Peter ist das männliche Vorbild, die Vaterfigur, die Max in einer Krise brauchte, um einen anderen Ausweg zu wählen als seine männlichen Vorfahren. Die Geschichte von Max ist ein Beispiel, wie man aus familiären Wiederholungen aussteigen kann. Es bedarf einer guten Elternfigur, die uns an die Hand nimmt und andere Wege aufzeigt. Diese hilfreiche Person muss nicht notwendigerweise aus der Familie sein.
In Lebensgeschichten von Menschen, die in ihrer Jugend schwere emotionale Krisen bewältigt haben, findet man oft eine Person aus dem näheren Umfeld, die ihnen Kraft gegeben hat, die ihnen Hilfe angeboten hat. Eine einzige Person reicht, um eine furchtbare Krise und folgenschwere Entscheidungen abzuwenden. Die meisten Menschen erinnern sich an diese Retter ihrer Kindheit und Jugend: eine mütterliche Nachbarin, eine liebevolle Tante, eine kluge
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