Das Blumenorakel
Vormittag im stickigen Salon vor dem Kamin die Zeitung zu lesen, schnürte ihm fast die Luft ab. Er hatte sich so auf eine Ausfahrt in der kristallklaren Luft gefreut! Endlich einmal herauszukommen aus der Stadt, etwas anderes zu sehen und zu riechen! Vielleicht irgendwo einkehren, eine einfache heiÃe Suppe löffeln. Einmal kein Fünf-Gänge-Menü inmitten der Handvoll ewig gleicher, altbekannter Gesichter im Europäischen Hof.
Als er den Schlitten für den ganzen Tag mietete, hatte Konstantin gehofft, dass ein bisschen Abwechslung auch Püppi guttun würde. Allerdings hatte er nicht bedacht, wie aufgeregt und verwirrt sie in letzter Zeit auf alles, was von ihrem normalen Alltag abwich, reagierte. Manchmal reichte das Gesicht eines neuen Zimmermädchens, das Püppi an jemanden aus vergangenen Zeiten erinnerte, und schon verlor sie sich in endlosen Erinnerungen, aus denen sie nur noch schwer ins Hier und Jetzt zurückfand. Dass eine Schlittenfahrt Erinnerungen an die russischen Winter ihrer Kindheit wachrufen würde, hätte sich Konstantin inzwischen eigentlich denken können.
Arme Püppi. Wie sollte das nur weitergehen?
Gedankenverloren blinzelte Konstantin der Sonne entgegen, die gerade hinter den nackten Bäumen hervorkroch. Bald würde sich die Stadt in ein schneeweiÃes, glitzerndes Wintermärchen verwandeln.
Eines der Pferde scharrte ungeduldig mit dem Huf im Schnee. »Was denn nun?«, fragte der Kutscher erneut.
»Ich habe eine Idee«, murmelte Konstantin. Und mit den ersten Sonnenstrahlen stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht.
»Ich soll sofort zur Fürstin Stropolski in den Europäischen Hof kommen?«
Der Botenjunge, der Flora den Zettel überreicht hatte und nun auf ein kleines Trinkgeld hoffte, zuckte verlegen mit den Schultern.
Stirnrunzelnd wanderte Floras Blick zwischen dem Zettel, dem Jungen und ihrem Laden hin und her.
Es war ein ausgesprochen ruhiger Morgen, den Flora bisher mit Putzen verbracht hatte. AuÃer Else Walbusch und Herrn Schierstiefel war noch niemand dagewesen. Ernestine saà mit Hannah und einer Stickarbeit im Esszimmer. Beide hatten ein Auge auf Alexander, der friedlich in seinem Körbchen schlief.
Spontan drückte Flora dem Botenjungen eine Münze in die Hand. »Lauf zurück und sag, dass ich komme!«
Dann rannte sie ins Haus, um Bescheid zu sagen, dass die Fürstin nach ihr verlangte.
»Fürstin Stropolski? Da lockt womöglich ein groÃer Auftrag! Geh nur, ich kümmere mich hier um alles«, sagte Ernestine, während Hannah beim Namen der Fürstin eine Grimasse zog, die Flora nicht deuten konnte.
Vielleicht ist Konstantin bei der Besprechung anwesend, dachte sie hoffnungsvoll, während sie das Schild Komme gleich wieder an die Ladentür hängte.
»Sie sind absolut verrückt!«, rief Flora eine halbe Stunde später. »Mich mitten am Tag zu einem Ausflug zu entführen ⦠Unddann das hier!« Lachend hielt sie ihr Champagnerglas in die Höhe. Kuckucksspucke, was dachte sie sich nur dabei, diese Tollerei auch noch mitzumachen?
Das Klirren ihrer Gläser mischte sich mit dem Klang der Glöckchen, die überall am Geschirr der Pferde befestigt waren.
Kaum hatte Flora ausgetrunken, füllte Konstantin ihr Glas wieder auf. »Ich hoffe, Sie verzeihen mir meine kleine List.« Ãber den Rand seines Glases hinweg blinzelte er sie verschmitzt an.
»Das muss ich mir noch gründlich überlegen«, antwortete Flora kichernd und nahm noch einen Schluck Champagner. Er schmeckte köstlich! Ihr war schon ein bisschen schwindlig davon.
Obwohl sich die kalte Winterluft wie ein eisiger Film auf ihr Gesicht gelegt hatte, glühten ihre Wangen. Aber war es denn ein Wunder? Da saà sie am helllichten Tag mit einem Rumänen in einem glockengeschmückten Pferdeschlitten und trank Champagner!
Als sie Konstantin Sokerov vor dem Europäischen Hof entdeckt hatte, hatte ihr Herz einen Moment lang ausgesetzt zu schlagen. Wo war die Fürstin?
Er habe den Schlitten für den ganzen Tag gemietet, der Fürstin sei jedoch nicht nach einer Ausfahrt zumute, hatte Konstantin ihr erklärt. Und da habe er sich gedacht, Flora könne anstelle der Fürstin ⦠SchlieÃlich kenne er doch sonst niemanden in Baden-Baden. Und es wäre eine Schande, die Pferde an diesem strahlenden Wintertag wieder in ihren dunklen Stall zu sperren!
Flora
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