Das Blumenorakel
Mailänder!«, hauchte Ernestine und riss entsetzt die Augen auf.
»Die Geschichte kenne ich gar nicht.« Flora hob Alexander, der aufgewacht war, aus seiner Wiege.
Friedrich nickte. »Im letzten Herbst ist sie auf und davon. Tja, ohne Frau im Haus wird Gustav seinen Betrieb wahrscheinlich nicht weiterführen können. Marie-Eluise war diejenige, die sich um alles gekümmert hat. Bei ihr war immer alles penibel sauber. AuÃerdem ist bei den Körners noch nie ein Badender ohnmächtig geworden. Dass das Hotel den Bach hinuntergeht, ist eine Schande. Vor allem weil die Quelle, die durch das Untergeschoss des Gebäudes flieÃt, zu den besten der Stadt gehört! Ihr müsstet mal die Wasseranalyse sehen, die ich für Gustav habe machen lassen, die â«
»So hat halt jeder sein Päckchen zu tragen!«, unterbrach Flora ihn. Wenn sie Friedrichs Wassergeschichten noch einen Moment länger zuhören musste, würde sie verrückt werden. Sie legte das Badeblatt zusammen und schaute über den Tisch Friedrich und Ernestine an.
»Theaterleute, Schriftsteller, Politiker â mir scheinen die Gäste, die sich in unserer Stadt eingefunden haben, so bunt gemischt zu sein wie eh und je. Und die Bühne selbst ist auch die Alte geblieben â¦Â«
47 . K APITEL
Baden-Baden, am 9 . Juni 1873
Liebe Mutter, lieber Vater,
ich hoffe, meine Zeilen erreichen euch bei bester Gesundheit. Bei uns ist die neue Saison nun in vollem Gange â gilt das als Entschuldigung dafür, dass ich so lange nicht mehr geschrieben habe? Liebste Eltern, dafür denke ich umso öfter an euch.
Stellt euch vor, ich habe etliche neue Kunden gewinnen können, die im Theater angestellt sind: Schauspieler, Tänzerinnen, ja, es ist sogar eine richtige Theaterdiva dabei! Sie verlangt nur nach Orchideen â als ob diese so einfach zu bekommen wären â¦
Die hochrangigen Staatsmänner aus Berlin, über deren Anwesenheit Friedrich so erfreut ist, sind dagegen eher sparsame Blumenkavaliere. Aber wie sagt Vater immer? Kleinvieh macht auch Mist!
Flora lieà die Feder sinken. Ihr Blick schweifte über die Ladentheke zu Sabine, die den Boden wischte. »Kann ich das so schreiben? Womöglich sind so viele Informationen übers Geschäft in einem Brief langweilig?«
»Keine Ahnung, da darfst du mich nicht fragen â¦Â« Während sich Flora wieder ihrem Brief widmete, kippte Sabine das Wischwasser in den Ausguss. Der Ladenboden glänzte, nun konnte sie eine weitere Aufgabe in Angriff nehmen.
Der erste Ansturm von Kunden an diesem Montagmorgen lag bereits hinter ihnen. Bevor der nächste Schwung kam, wollte sie unbedingt ein wenig Ordnung schaffen.
Auch Flora hatte die entstandene Verschnaufpause nutzen wollen: für ihren Brief nach Gönningen. Doch statt weiterzuschreiben, starrte sie nur aus dem Fenster, wie so oft in letzter Zeit.
Sabine seufzte. Wo war die Freundin wieder mit ihren Gedanken? Hoffentlich nicht bei diesem â
»Als ich vorhin in der Küche war, hat da zufällig Konstantin Sokerov vorbeigeschaut?«, fragte Flora prompt.
Sabine verneinte. »Der war seit Freitag nicht mehr hier. Es ist eh verrückt, wie viel Geld er für Blumen ausgibt!«
»Dann ist er wahrscheinlich mit Freunden übers Wochenende weggefahren«, sagte Flora betont gleichgültig. »Obwohl â in solch einem Fall sagt er mir eigentlich Bescheid.«
»Also hör mal, der Mann ist dir doch keine Rechenschaft schuldig!« Sabine lachte auf.
»Das weià ich. Und spätestens am Mittwoch beim Stehempfang von Irina Komatschova oder beim Gartenfest der Gagarins am Donnerstag sehe ich ihn bestimmt. Konstantin ist überall eingerngesehener Gast, aber das ist ja auch kein Wunder bei seinem Charme â¦Â«
»Und du bist nach wie vor nur die Frau, die die Blumen liefert. Du gehörst nicht zu denen!«, sagte Sabine unwirsch. Die Art, wie Flora von dem Mann sprach, gefiel ihr ganz und gar nicht. Genauso wenig wie die Tatsache, dass er ihr dauernd im Kopf herumspukte. War Flora etwa verliebt? Du lieber Himmel, alles, nur nicht das!
»Sabine, bitte führ dich nicht wieder auf wie meine Gouvernante«, erwiderte Flora gereizt. »Es ist doch wirklich nichts dabei, wenn ich mit Konstantin auf einem der Feste ein paar Worte wechsle. Mehr ist da nicht, seit diesem einzigen Kuss beim Spazierengehen ist
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