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Das Blumenorakel

Das Blumenorakel

Titel: Das Blumenorakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Jedes seiner Worte schnitt ihm tiefer ins Herz. »Da schau!« Er hielt ein buntes Tuch in die Höhe. »Von mir ist das nicht. Und da – der Fächer! Siehst du die russischen Schriftzeichen? Ja, sieh ruhig genau hin! Wie eine Hure hat sie sich beschenken lassen, deine wunderbare Flora.«
    Â»Aber Bub, um Himmels willen!« Mit einer Hand an der Kehle starrte Ernestine ihn an, als habe sie den Leibhaftigen vor sich. Immer wieder öffnete sich ihr Mund, doch kein Wort, kein Laut kroch hervor.
    Die verdammten Blumenbücher – weg damit! Die Kette aus Bernstein. Ihre Haarschleifen. Und da … Friedrich starrte auf das glitzernde F in seiner Hand.
    Die Brosche, die er Flora zur Hochzeit geschenkt hatte.
    Abermals hatte er das Gefühl, als ziehe ihm jemand den Boden unter den Füßen weg. Hilflos taumelte er von einem Bein aufs andere. Die Brosche warf er angeekelt beiseite.
    Nein … Es konnte nicht sein. Ein böser Traum. Eine Verwechslung! Jemand, der aussah wie Flora. Lachte wie sie. In Wirklichkeit war es gar nicht seine Frau gewesen, die er in diesem Zimmer gesehen hatte.
    Noch immer liefen seine Gefühle jeglichem geistigem Verarbeiten davon. Heiße, salzige Tränen schossen in seine Augen, rannen die Wangen hinab und sammelten sich in seinen Mundwinkeln. Aus seinem Magen stieg ein fauler Geschmack wie nach verdorbenem Essen auf. Er würgte und schluckte, tasteteblind nach der Wasserschüssel auf der Kommode. Dann musste er sich übergeben.
    Â»Friedrich …« Er spürte die Hände seiner Mutter, hilflos klopfte sie ihm auf den Rücken, als habe er eine Gräte verschluckt, die es nach oben zu befördern galt.
    Gräten. Fisch. Räucherfisch. Nie mehr in seinem ganzen Leben würde er den Geruch von Räucherfisch vergessen, für immer würde dieser verbunden sein mit diesem Tag, mit dem Forellenhof. Dem Lachen und der Fröhlichkeit, die aus dem Saal bis ins Treppenhaus drangen. Der Gang mit den Türen links und rechts, alles etwas düster. Die Zimmertür. Dahinter Flora, nackt und –
    Â»Ausgerechnet ein Russe …«
    Heulend warf er sich aufs Bett, seine Faust stieß in das Kopfkissen, immer wieder, mit aller Macht, bis eine der Nähte platzte und Wölkchen von Federn in die Luft aufstiegen.
    Draußen hatte es zu regnen begonnen.

    So schnell hatte sich Flora noch nie in ihrem Leben angezogen. Unterhosen, Unterrock, Leibchen, das fliederfarbene Kleid. Mit bloßen Füßen schlüpfte sie in ihre Schuhe und stürzte die Treppe hinunter.
    Â»Friedrich!«, rief sie. Immer wieder: »Friedrich!«
    Unten stand Lady Lucretia. Was machte die Engländerin hier? Ohne ein Wort des Grußes rannte Flora weiter, nach draußen.
    Ãœber der Straße lag eine Staubwolke. Nur schemenhaft erkannte Flora darin eine Droschke, die fuhr, als sei der Leibhaftige hinter ihr her. »Friedrich!«
    Flora rannte los. Der Himmel, dessen strahlendes Blau bisher nur von feinen Schlieren durchzogen gewesen war, wurde jetzt blass und grau und fleckig wie ein schmutziges Küchentuch. Floras Seiten brannten wie von tausend glühenden Nadeln gepikt. Bald kräuselte sich die Luft, und Wind wirbelte die ersten müden Blätter von den Bäumen. Der kalte Hauch ließ Flora erschauern. Über ihren nass geschwitzten Rücken kroch eine Gänsehaut, ihre Brustwarzen zogen sich zusammen.
    Warum hatte er auf einmal in der Tür gestanden? Wer hatte ihm erzählt, dass sie – Nein! Nicht denken. Weiter! Rennen! Nicht nachdenken.
    Wenn es ihr gelang, ohne Pause in die Stadt zu kommen …
    Bitte lieber Gott, bitte.
    Je mehr sie sich Baden-Baden näherte, desto düsterer wurde es über ihr. Das letzte Sonnenlicht erstarb, Donnergrollen ertönte, als hätte der liebe Gott besonders heftiges Magengrummeln.
    Flora bog gerade in die Stephanienstraße ein, als die ersten Regentropfen auf das Kopfsteinpflaster hämmerten. Als der Blumenladen in Sicht kam, öffnete der Himmel seine Schleusen, als würde das Gewitter einer heimlichen Dramaturgie folgen.

    Die Haustür war von innen verschlossen. Vergeblich ruckelte Flora mit ihrem Schlüssel im Schloss. Mit leerem Blick starrte sie auf den Berg aus Taschen, Bündeln und Säcken, der wie Müll vor die Haustür geworfen worden war. Binnen kürzester Zeit war alles durchnässt, das beigefarbene Leinen ihres

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