Das Blumenorakel
verlieren sie viel Geld, und danach sind sie froh, dass sie für unser Heilwasser nichts zahlen müssen.« Lachend blieb er vor dem groÃen, langgestreckten Gebäude stehen.
»So, da wären wir!«
»Wenn man direkt davorsteht, wirkt das Gebäude noch gröÃer als von Weitem«, murmelte Flora. »Und Sie sind wirklich der Verwalter von all dem?«
Er lachte. »Verwalter â wie hochgestochen sich das anhört. Natürlich habe ich auch Verwaltungsaufgaben. Aber im Grunde genommen bin ich das âºMädchen für allesâ¹. Das Saubermachen und Instandhalten gehören ebenso zu meinen Aufgaben wie das Abfüllen von Wasser für Gäste, die es auch zu Hause genieÃen möchten.«
Sie hatten die wenigen Stufen zum Säulengang gerade erklommen, als Flora leise ausrief: »Wie schön!«
Lächelnd beobachtete Friedrich, wie sich Flora im Kreise drehte, den Kopf in den Nacken gelegt, benommen vom architektonischen Spiel mit Formen, Licht und Farbe, das den Zauber der Trinkhalle ausmachte.
Plötzlich war ihm, als sehe auch er alles zum ersten Mal: die eleganten Säulen, die den langen Gang der Trinkhalle säumten und dem Gebäude den Eindruck von Unendlichkeit verliehen. In dem Moment war jeder Gedanke daran, wie schwer der helle Sandstein zu säubern war, vergessen. Friedrich sah nur, in welch lebhaftem Kontrast die Säulen zu den farbigen Wänden standen, die aus verschiedenartigen Steinen â Backstein, Terrakotta und Marmor â gearbeitet waren. Er dachte nicht daran, wie mühselig es war, die rauen Oberflächen von Staub und Spinnweben zu befreien, sondern sah, wie alles im einfallenden Sonnenlicht zu einem einzigen farbigen Fluss verschmolz.
»Das ist wirklich zauberhaft â¦Â« Floras Blick wanderte über die vierzehn Fresken, die sich über den Wandelgang erstreckten.
»Jede dieser Szenen â Pferd und Reiter, Burgen und Ruinen, Landschaften und Fabelgestalten â zeigt eine der Sagen, die man sich hier in der Gegend erzählt. Das hier ist übrigens Merline, die Nixe vom Wildsee â¦Â« Er deutete auf das Bild einer jungen Frau.
Sie war nackt, in ihrem linken Arm lag eine Harfe, zu ihrerrechten Seite schmeichelte sich eine weiÃe Ziege bei ihr ein. Die Nixe schien an einem Ufer zu sitzen, im Hintergrund sah man zwischen viel Dickicht einen hübschen Jüngling und einen weiÃbärtigen Alten, der den Jungen von etwas zurückzuhalten schien.
»Wie sie guckt ⦠Als wolle sie einen dazu verlocken, zu ihr ins Wasser zu springen!« Flora trat unwillkürlich einen Schritt von dem Fresko zurück.
»Genau das will dieses Bild ausdrücken«, erwiderte Friedrich. »Da gebe ich mir die gröÃte Mühe, Ihnen etwas Neues zu erzählen, dabei kennen Sie die Sage von der Nixe vom Wildsee längst.« Ein Hauch von Enttäuschung durchfuhr ihn â er hatte regelrecht darauf gebrannt, diese Sage zum Besten zu geben. SchlieÃlich kam sie bei den weiblichen Besuchern der Trinkhalle immer besonders gut an.
»Ich kenne die Geschichte doch gar nicht, und ich liebe es, Sagen zu lauschen! Rund um die Schwäbische Alb gibts auch einige. Wenn meine GroÃmutter sie mir früher erzählte, hätte ich ewig zuhören können. Vielleicht könnte mein Stadtführer mir von der Nixe berichten?« Lächelnd machte Flora einen kleinen Knicks.
Friedrich lieà sich kein zweites Mal bitten. »Sie heiÃe Merline, sagte die Nixe zu den jungen Ziegenhirten, die sie am Ufer besuchten. Aber niemand dürfe sie je bei ihrem Namen rufen. Doch ihre Warnung war oftmals vergebens, etliche Burschen waren bereit, ihr Hirtenleben für einen weiteren Blick auf die schöne Nixe wegzuwerfen. So hörte man immer wieder einen jungen Burschen nach Merline rufen. Doch anstelle der Nixe erschien dann jedes Mal eine blutrote Rose auf der Wasseroberfläche. Kaum wollte der Jüngling nach der Blüte greifen, wurde er in die Tiefe des Sees gezogen und ward nie mehr gesehen. Tja, so ist der Mensch nun einmal â er will immer das haben, was er nicht haben kann.«
Flora schaute fasziniert auf das Wandbild.
Inzwischen stand die Sonne so hoch, dass sie Friedrich unangenehm auf den Rücken brannte. Floras Hingabe an die Kunst in allen Ehren, aber â
»Und was passierte mit den armen Ziegen? Wie kamen die ohne ihre Hirten zurecht?«,
Weitere Kostenlose Bücher