Das Blumenorakel
Mit Anna. Mit Matriona. Sogar Irina hatte er zum Tanzen aufgefordert, was deren säuerliche Miene ein wenig erhellte. Nur mit ihr, Püppi, hatte er nicht getanzt. »Bestimmt bist du nach der langen Reise müde«, hatte er gesagt. Und dass sie sich schonen solle.
Unwirsch strich sich Püppi eine graue Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie war nicht müde gewesen, aber wann immer Konstantin so sprach, fühlte sie sich urplötzlich müde. Und alt. Und verbraucht.
Dabei wollte sie doch so gern jung sein! Für Konstantin.
Für ihre Liebe ⦠Sonst würde er es am Ende doch noch bedauern, sich für sie entschieden zu haben.
Stirnrunzelnd schaute sie auf das kleine SträuÃchen auf dem Tisch vor ihr. Blumen waren die Lieblingsmotive vieler Maler. Ob Konstantin auch Blumen malte? Oder eher Porträts? Landschaften?
Die Wahrheit lautete: Sie wusste es nicht, hatte sich noch nie von ihm seine Bildermappe zeigen lassen.
Warum war sie eigentlich nicht eine Art Mäzenin für ihn geworden? Eine Förderin seiner Künste?
Nichts, absolut gar nichts hatte sie in dieser Hinsicht für ihn bisher getan.
Irgendjemand musste den Blumenstrauà gestern Abend ins Zimmer gestellt haben. Konstantin? Nein, der hübsche Strauà aus Ranunkeln, Weidenröschen und gelben Zweigen, die Püppi nicht kannte, trug definitiv nicht seine Handschrift â wenn er Blumen schenkte, waren es meist opulente Gebinde mit Rosen und Lilien, die Eindruck schinden wollten und nicht lange hielten. Der Hotelier?
Plötzlich schlug Püppis Herz schneller, und sie kicherte leise auf. Gab es einen heimlichen Verehrer, von dem sie nichts wusste? Erst jetzt sah sie, dass dem Strauà ein Zettel beigefügt war. Lasst Sonnenschein herein. Werbung für einen Blumenladen. Püppi verzog den Mund. Und sie hatte an einen Verehrer gedacht! Sollte sie nicht eher darüber nachdenken, wie sie Konstantins Malerei fördern konnte?
Unter dem Werbezettel lag ein kleines Heft. Floras Blumen- ABC .
Neugierig blätterte Püppi durch die Seiten. Dass ein Kleeblatt als Glücksbringer galt, wusste man ja, aber dass sich Lavendel als ein Zeichen der Liebe und Hingabe lesen lieàâ interessant. Sie blätterte weiter, bis sie die Ranunkeln aus ihrem Strauà fand, und las: Schenke sie, wenn du auch im Alter die Schönheit erkennst und Veränderungen liebst.
Püppi stutzte. Natürlich liebte sie die Schönheit, und gegen Veränderungen hatte sie ebenfalls nichts einzuwenden, solange sie zu ihren Gunsten waren.
Die Blumenzeichnungen waren hübsch. Eigentlich war das ganze Heft eine hübsche Idee â¦
Plötzlich kam Püppi ein Gedanke, der so aufregend war, dass ihr ganz schwindlig wurde. Eine Vernissage mit Konstantins Bildern! Und dieser Blumenladen sollte dazu passende symbolhafte Blüten liefern!
Der liebe Konstantin ⦠Er sollte sich fühlen wie ein gefeierter Künstler.
Die Sonne schob sich langsam dem Himmel entgegen, als Püppi schlieÃlich ins Bett ging. Sobald sie ausgeschlafen hatte, wollte sie den Blumenladen aufsuchen. Veränderungen? Dazu war sie mehr als bereit!
34 . K APITEL
W ie so oft am späten Nachmittag war der hintere Teil der StraÃe, in der der Blumenladen lag, wie ausgestorben. Die Hausfrauen, die frühmorgens ihre Einkäufe erledigt hatten, waren nun mit Kochen oder der Wäsche beschäftigt. Und die Handwerker und Händler, deren Werkstätten und Häuser rings um den Blumenladen lagen, gingen ebenfalls alle ihrer Arbeit nach.
Oder sie putzten den Blütenstaub von ihren Kleidern und Möbeln, dachte Flora mürrisch bei sich, während sie zum xten Mal an diesem Tag das Fenster wischte. So schön sie die Kastanienblüte fand â den Dreck konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen!
Was sie viel mehr benötigte, war ein Wunder.
Von ihr aus durfte es auch eine Erscheinung sein, die ihr offenbarte, warum ihre »einmaligen Ideen« bei der Kundschaft nicht ankamen.
Da saà sie nun im Laden, umringt von unzähligen Maiglöckchenpflanzen, die keiner haben wollte. Gerade mal ein halbes Dutzend hatte sie verkauft.
Wie betörend hatte Flora ihren einzigartigen Duft stets empfunden! Doch nun, umringt von einem Meer aus Maiglöckchen, fand sie den Duft nur noch penetrant und aufdringlich.
Sie hatte Dutzende der Blumen im Garten ausgegraben, den weitaus gröÃeren Teil jedoch
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