Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall
Frühstück, sein Lunch und sein Dinner. Verwandelt er uns alle in Vampire, ist sein Nahrungsvorrat futsch.« Vasiliy zog den Mund schief. »Wenn man das Huhn schlachtet, legt es keine Eier mehr.«
Die Logik eines Kammerjägers. Eph war beeindruckt. »Er muss also das Gleichgewicht aufrechterhalten. Wenn er zu viele Menschen in Vampire verwandelt, hat er niemanden mehr, den er aussaugen kann. Die Ökonomie des Blutes.«
»Es sei denn … Es sei denn, er hat etwas anderes mit uns vor. Ich hoffe nur, der Alte weiß mehr darüber. Wenn nicht er …«
»… dann niemand.«
Sie hatten die düstere Tunnelkreuzung erreicht. Eph hielt die Lumalampe hoch. An den Wänden kamen Spritzer von Vampirausscheidungen zum Vorschein, die im kurzwelligen
Licht fluoreszierten. Allerdings waren diese Spritzer nicht mehr so leuchtend bunt, wie Eph sie in Erinnerung hatte. Sie verblassten, was bedeutete, dass seit längerem keine Vampire mehr an diesem Ort waren. Vielleicht hatten sie sich ja gegenseitig gewarnt - immerhin hatten Eph, Vasiliy und Setrakian hier Hunderte ihrer Artgenossen vernichtet.
Vasiliy stocherte mit dem Stahlrohr in einem Haufen weggeworfener Handys. Dieser Hügel aus Mobiltelefonen war wie ein Mahnmal der Niederlage - die Vampire hatten die Menschen ausgesaugt, und nur ihre kleinen technischen Spielzeuge waren übrig geblieben. Die Hinterlassenschaften einer einst ruhmreichen Zivilisation.
»Ich habe über das nachgedacht, was Setrakian erzählt hat«, sagte der Kammerjäger leise. »Dass die Mythen und Legenden aus den unterschiedlichsten Kulturen und Zeitaltern die Urängste der Menschen widerspiegeln. Dass sie universelle Symbole sind.«
»Ja, Archetypen.«
»Genau, das ist das Wort, nach dem ich gesucht habe. Ängste, die alle Völker und Stämme teilen, die tief in jedem Menschen sitzen, egal, wo er herkommt. Krankheiten, Seuchen, Krieg, Habgier, solche Sachen. Was, wenn diese Mythen nicht nur Aberglauben sind? Was, wenn sie sich auf etwas ganz Konkretes beziehen? Dann wäre das alles nicht nur ein Ausdruck unserer unbewussten Furcht, sondern hätte direkte Wurzeln in unserer Vergangenheit. Anders gesagt: Was, wenn das nicht einfach nur Legenden wären, die sich zufällig ähneln, sondern die Wahrheit ?«
Hier unten, in den Eingeweiden der fallenden Stadt, fand es Eph nicht gerade einfach, Vasiliys Theorien zu folgen. »Du meinst, wir wussten schon immer, dass …«
»Genau. Wir hatten schon immer Angst davor. Die Existenz dieser Gefahr - dieses Vampirclans, der sich von menschlichem Blut ernährt und menschliche Körper wie eine Seuche befällt - war uns schon immer bekannt. Aber dann gingen
die Vampire buchstäblich in den Untergrund, versteckten sich, und die Wahrheit wurde allmählich zur Legende. Aus Fakten wurde Folklore. Und trotzdem sitzt diese Angst so tief in allen Menschen und Kulturen, dass wir sie nie richtig losgeworden sind.«
Eph schüttelte zweifelnd den Kopf. Für Vasiliy war es einfach, einen Schritt zurückzutreten und das ganze Bild zu betrachten, er dagegen war unmittelbar betroffen. Seine Frau - besser gesagt: seine Exfrau - war verwandelt worden und versuchte nun mit allen Mitteln, ihr Blut - ihren geliebten Sohn - zu sich zu holen. Diese dämonische Seuche ging Eph ganz persönlich an, daher tat er sich sehr schwer, sie objektiv zu betrachten, geschweige denn große Theorien darüber aufzustellen. Obwohl genau dies seine Aufgabe als Epidemiologe gewesen wäre.
Und da war noch etwas. Eph musste fast ständig an Eldritch Palmer denken, Vorstandsvorsitzender der Stoneheart Group und einer der drei reichsten Männer der Welt - jener Mann, der, wie sie herausgefunden hatten, mit dem Meister zusammenarbeitete. Als die Seuche immer weiter um sich gegriffen, die Zahl der Infizierten sich Nacht für Nacht verdoppelt, die Saat sich exponentiell vermehrt hatte, hatten die Medien verharmlosend von »Unruhen« gesprochen - so, als würde man einen ausgewachsenen Bürgerkrieg als »Protestkundgebung« bezeichnen. Das war wider besseres Wissen geschehen, also beeinflusste irgendjemand die Medien und die CDC. Irgendjemand hatte ein großes Interesse daran, nicht nur die amerikanische Öffentlichkeit, sondern die ganze Welt hinters Licht zu führen - und Eph war davon überzeugt, dass dieser Jemand Palmer war. Nur die Stoneheart Group war in der Lage, eine Desinformationskampagne dieser Größenordnung zu finanzieren und durchzuführen. Und Eph war zu dem Schluss gekommen, dass der greise,
Weitere Kostenlose Bücher