Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall
schwerkranke Palmer ein weitaus lohnenderes Ziel abgab als der übermächtige Meister. Ohne seinen immensen Reichtum,
ohne seine unbegrenzten Ressourcen wäre Palmer bereits vor zehn Jahren gestorben; wie eine altmodische Maschine, die ständige Wartung und Pflege benötigte, wurde er am Leben erhalten. Ephs Erfahrung als Arzt sagte ihm, dass das Leben für Palmer zu so etwas wie einem Fetisch geworden war. Der Milliardär war besessen davon, es mit allen Mitteln zu verlängern.
Ephs Wut auf den Meister - der Kelly verwandelt, sein Leben auf den Kopf gestellt, seinen Glauben an die Wissenschaft und den medizinischen Fortschritt zerschmettert hatte - war gerechtfertigt, aber sie führte zu nichts. Genauso gut hätte er gegen den Tod selbst ankämpfen können. Palmer hingegen, dieser menschliche Scherge des Meisters, gab seinem Zorn Richtung und Sinn. Ja, er war die perfekte Zielscheibe für Ephs Rachegelüste. Dieser Mann hatte das Leben seines Sohnes zerstört, hatte Zack das Herz gebrochen …
Sie hatten ihr Ziel erreicht: Sie standen vor einer langgestreckten unterirdischen Kammer. Vasiliy brachte die Nagelpistole in Anschlag, Eph zog das Silberschwert.
Am hinteren Ende der Kammer befand sich ein riesiger Dreckhaufen, ein Altar aus Müll, auf dem der Sarg gelegen hatte - jener »Schrank« aus verziertem Ebenholz, der den Atlantik im Laderaum des Regis-Air-Flugs 753 überquert hatte. Der Sarg, in dem der Meister in kalter, weicher Erde gelegen hatte.
Und wieder - wie damals, als er aus dem gesicherten Flughafenhangar verschwand - war der Sarg weg. Auf dem platt gedrückten Schutthaufen waren nur mehr seine Umrisse zu erkennen.
Jemand - etwas - war ihnen zuvorgekommen, hatte verhindert, dass Eph und Vasiliy die Ruhestätte des Meisters zerstören konnten.
»Er war noch mal hier«, sagte Vasiliy und sah sich um.
Eph war bitter enttäuscht. Er hatte seine Wut an diesem Holzkasten auslassen, den Meister zumindest seines Rückzugsorts
berauben wollen. Er hatte die Kreatur wissen lassen wollen, dass sie nicht aufgegeben hatten. Und es auch niemals tun würden.
»Hier drüben, Eph. Sieh dir das mal an.«
Am Fuß einer Wand waren im Schein von Vasiliys Lumalampe bunte Spritzer zu erkennen. Frischer Vampirurin. Dann beleuchtete der Kammerjäger die Wand mit einer normalen Taschenlampe.
Auf den Steinen kam ein krudes Wandgemälde zum Vorschein, ein wildes Graffiti, das Eph nun genauer in Augenschein nahm. Zum größten Teil handelte es sich bei den Symbolen um Variationen eines sechseckigen Gebildes, mal abstrakt, mal nur angedeutet, mal verblüffend detailliert. Einmal ähnelte es einem Stern, dann wieder einer amöbenartigen organischen Form. Das Graffiti bedeckte fast die gesamte Wand in immer gleichen Mustern. Eph konnte sogar noch die frische Farbe riechen.
»Das ist neu«, sagte Vasiliy und trat einen Schritt zurück, um das Wandgemälde in seiner vollen Größe betrachten zu können.
Unterdessen studierte Eph ein Symbol in der Mitte eines aufwendig gezeichneten Sterns. Es erinnerte an einen Haken oder eine Klaue oder … »Eine Mondsichel«, flüsterte er und fuhr mit der Schwarzlichtlampe über die Zeichnung. Am Schnittpunkt mehrerer Geraden waren, für das nackte Auge unsichtbar, zwei identische Formen versteckt. Und ein Pfeil, der in die Tunnel dahinter wies.
»Sie sind weitergezogen«, sagte Vasiliy. »Dem Pfeil nach.«
Eph nickte und folgte Vasiliys Blick. Der Pfeil wies nach Südosten. »Mein Vater hat mir einmal von solchen Markierungen erzählt. Rotwelschzinken nannte man sie. Als er nach dem Krieg eingewandert war, lernte er sie von den Tippelbrüdern und Landstreichern. Es waren Kreidezeichnungen, die anzeigten, wo man Essen bekam oder eine Unterkunft. Sie dienten aber auch als Warnung vor unfreundlichen
Hausbesitzern. Im Lauf der Jahre hab ich solche Zeichen immer wieder gesehen. In Lagerhäusern, Tunneln, Kellern …«
»Und was bedeuten die hier?«
»Keine Ahnung.« Eph sah sich um. »Aber der Pfeil zeigt in diese Richtung … Schau doch mal, ob eines von den Handys draußen noch Saft hat. Eines mit einer Kamera.«
Vasiliy ging zu dem Haufen aus Mobiltelefonen, testete eines nach dem anderen, warf die leeren Geräte zur Seite. Schließlich leuchtete das Display eines rosafarbenen Nokia mit fluoreszierendem Hello-Kitty-Anhänger auf. Mürrisch brachte er es Eph. »Diesen Hello-Kitty-Quatsch hab ich nie kapiert. Das Vieh ist so verdammt hässlich. Soll das eine Katze sein oder was? Sieht
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