Das Blut der Azteken
ihr Leben brächte. Neuspanien war zwar ein großes Land, hatte aber verhältnismäßig wenige spanische Einwohner. Meine und Ramón de Alvas Wege würden sich also sicher wieder kreuzen. Deshalb beschloss ich, mich zu gedulden, bis sich eine Gelegenheit ergab, ihn zu vernichten, ohne den Menschen zu schaden, die gut zu mir gewesen waren.
Den Geruch von Mist in der Nase und laute Musik im Ohr, schlief ich ein. Einige Stunden später wachte ich auf und schreckte im dunklen Zimmer hoch. Der Lärm des Festes war verstummt, und ein Blick zum Mond sagte mir, dass es nach Mitternacht sein musste.
Da ich durstig war, verließ ich mein Zimmer, um Wasser zu holen. Ich ging auf Zehenspitzen, weil ich niemanden im Haus wecken oder Aufmerksamkeit erregen wollte.
Bei unserer Ankunft hatte ich in einem kleinen Innenhof, der vom Garten abging, einen Brunnen gesehen. Weil unsere Kutsche gleich daneben abgestellt worden war, vermutete ich, dass an diesem Brunnen die Pferde getränkt wurden. Aber ich hatte schon Schlimmeres getrunken.
Am Fuß der Treppe, die von meinem Zimmer nach unten führte, blieb ich stehen und genoss für eine Weile die kühle Nachtluft. Dann schlich ich weiter, fand im Mondlicht den Brunnen, und goss mir, nachdem ich meinen Durst gestillt hatte, einen Eimer Wasser über den Kopf.
Die Vorstellung, in mein stickiges Zimmer zurückzukehren, war nicht sehr verlockend, weshalb ich beschloss, mich in unsere Kutsche zu legen; sie war luftiger, und die Sitzbank war auch nicht härter als der Strohsack auf meinem Bett. Also kletterte ich hinein. Ich musste mich zwar auf dem Sitz zusammenkrümmen, aber wenigstens bekam ich hier Luft.
Ich war schon fast eingeschlafen, als ich Geflüster und ein Kichern hörte. Aus Angst, meine Anwesenheit in der Kutsche durch eine hastige Bewegung zu verraten, streckte ich mich vorsichtig, setzte mich auf und spähte hinaus.
Zwei Personen waren in den kleinen Hof getreten. Da sich meine Augen bereits an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte ich sie rasch an ihrer Kleidung: Isabella und Ramón de Alva.
Der Schurke nahm Isabella in die Arme und küsste sie. Dann glitten seine Lippen hinab zu ihrer Brust, und als er ihr Mieder auseinander zog, sah ich die weißesten Brüste vor mir, die ich je zu Gesicht bekommen hatte.
Der Mann sprang mit Frauen um wie ein läufiger Hund. Er warf Isabella zu Boden und zerrte an ihren Kleidern. Wäre ich nicht Zeuge gewesen, dass sie freiwillig mitgekommen war und seine Grobheit offenbar genoss, ich hätte wahrscheinlich meinen Degen gezückt und mich auf ihn gestürzt, um eine Vergewaltigung zu verhindern.
Langsam legte ich mich wieder hin und zuckte zusammen, als die Federung der Kutsche quietschte. Ich schloss die Augen und hielt mir die Ohren zu, um ihr animalisches Keuchen und Stöhnen nicht hören zu müssen.
Ich hatte großes Mitleid mit Don Julio. Und auch mit mir selbst. Was hatte ich nur verbrochen, dass dieser bösartige Mensch immer wieder in mein Leben treten musste?
Am nächsten Morgen holte ich mir in der Küche ein paar Tortillas, anstatt mich zum Frühstück zu den übrigen Gästen zu gesellen. Als ich die Haupttreppe hinabstieg, bemerkte ich ein Porträt an der Wand und blieb wie angewurzelt stehen.
Das Gemälde stellte ein hübsches Mädchen von etwa zwölf Jahren dar, und ich war sicher, dass es sich um Eléna handelte, die mich aus Veracruz hinausgeschmuggelt hatte. Während ich das Bild anstarrte, fiel mir ein, dass die älteren Frauen in der Kutsche ihren Onkel Don Diego genannt hatten.
Ach, du meine Güte! Kein Wunder also, dass ich dem widerwärtigen Ramón de Alva in die Arme gelaufen war. In der Kutsche hatte es geheißen, er arbeite für ihren Onkel.
Die Ähnlichkeit zwischen dem Mädchen auf dem Bild und meiner Retterin war so groß, dass es einfach kein Zufall sein konnte. Als ein Diener vorbeikam, fragte ich ihn: »Ist dieses Mädchen Don Diegos Nichte?«
»Ja, Señor. Ein reizendes Mädchen. Sie ist an den Pocken gestorben.«
Mit Tränen in den Augen verließ ich das Haus und ging zur Kutsche. Wenn mir de Alva über den Weg gelaufen wäre, hätte ich mich auf ihn gestürzt und ihm mit meinem Dolch die Kehle aufgeschlitzt. Obwohl es völlig widersinnig war, gab ich de Alva auch an Elénas Tod die Schuld. In meinen Augen hatte er mir zwei Menschen genommen, die ich liebte, und setzte dem dritten Hörner auf. Wieder schwor ich, mich eines Tages an ihm zu rächen.
Inzwischen dämmerte mir, warum Neuspanien
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