Das Blut der Azteken
geerbt?«
Doña Isabella verhörte mich nicht aus Argwohn, sondern aus Langeweile. Doch obwohl mir als lépero das Lügen nicht weiter schwer fiel, wollte ich wegen einer müßigen Plauderei nichts riskieren.
»Meine Familie ist nicht von so hohem Stand wie Eure, Doña. Und gewiss auch nicht so interessant wie Euer Leben in Mexiko-Stadt. Erzählt mir davon. Sind die Straßen wirklich so breit, dass acht Kutschen gleichzeitig nebeneinander herfahren können?«
Ein Wortschwall ergoss sich über mich, als sie mir die Stadt, die Kleider, die Feste und ihr prächtiges Haus schilderte. Es war nicht schwer, sie von den Fragen über meine Vergangenheit abzulenken. Isabella sprach lieber über sich, als anderen Menschen zuzuhören. Trotz ihres majestätischen Gehabes und ihres kapriziösen, damenhaften Getues wusste ich von den Dienstboten, dass ihr Vater ein einfacher Kaufmann gewesen war. Ihren Aufstieg in den Adel hatte sie nur dem Umstand zu verdanken, dass sie eine gute Partie gemacht hatte.
Allerdings steckte sie voller Überraschungen, denn sie stellte immer wieder unvermittelt Fragen, mit denen niemand rechnen konnte. »Was ist das für eine kleine Kanone, mit der man den Himmel sehen kann?«, erkundigte sie sich.
»Es ist keine Kanone, sondern ein Fernrohr, ein Gerät zur Beobachtung des Himmels.«
»Und warum hält Don Julio es versteckt?«
»Weil die Kirche es verbietet. Wer so ein Gerät besitzt, kann sich großen Ärger mit der Inquisition einhandeln.«
Ich berichtete ihr von Galileo und seiner Entdeckung der Jupitermonde und von dem Kardinal, der es aus Angst, in das Antlitz Gottes zu blicken, nicht gewagt hatte, durch das Fernrohr zu schauen.
Doña Isabella hakte nicht weiter nach und nickte bald wieder ein. Ich war nicht sicher, ob es richtig gewesen war, ihr von dem Gerät zu erzählen. Schließlich hatte Don Julio es auch nicht getan, obwohl er die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Einige Tage bevor er mir das Fernrohr zeigte, hatte er mich dabei ertappt, wie ich einen Schrank in der Bibliothek öffnete, der sonst immer verschlossen war.
Der Schrank enthielt Bücher, die auf der Verbotsliste der Inquisition standen. Es handelte sich nicht um schmutzige Literatur, sondern um wissenschaftliche, medizinische und historische Werke, die der Inquisition - im Gegensatz zu den meisten Gelehrten - missfielen.
Er zeigte mir gerade eine wissenschaftliche Abhandlung, die verboten war, weil sie aus der Feder eines britischen Protestanten stammte, als wir feststellten, dass Isabella uns belauschte. Auch damals hätte er die Möglichkeit gehabt, sie in das Gespräch einzubeziehen oder ihr zu erklären, was sich in diesem Schrank befand. Aber er tat es nicht.
Ich schob meine Zweifel und Befürchtungen, was Isabella anging, beiseite. Es bestand kein Grund zur Besorgnis, denn schließlich war sie ja die treue Ehefrau des Don.
6
Die Hacienda der Vélez' und auch das Haupthaus waren größer als die von Don Julio. Mich, den lépero, erinnerte das Haus an einen Palast. Unterwegs hatte Isabella mir gesagt, der Besitzer, Don Diego Vélez de Maldonato, sei Sporenträger und in Neuspanien ein sehr bedeutender Mann.
»Es heißt, dass er eines Tages bestimmt Vizekönig wird«, fügte sie hinzu.
Don Diego hielt sich nicht auf der Hacienda auf, doch Isabella versicherte mir, dass sie in Mexiko-Stadt häufig gesellschaftlich mit ihm verkehrte. Der Umgang mit wichtigen Leuten schien für sie eine große Rolle zu spielen.
»Es werden Familien von zwei benachbarten Haciendas da sein«, erklärte Isabella. »Gastgeber ist der Gutsverwalter des Don. Wenn du dich ihm zu Füßen setzt und ihm zuhörst, kannst du viel lernen. Er ist nämlich nicht nur Verwalter, sondern auch ein ausgesprochen fähiger Kaufmann und gilt als der beste Schwertkämpfer Neuspaniens.«
Am späten Nachmittag erreichten wir das große Haus. Sobald die Kutsche angehalten hatte, wurden wir von einigen Frauen begrüßt, alle wie Isabella die Gattinnen oder Töchter von Großgrundbesitzern. Die Männer folgten ihnen.
Ich war gelangweilt, voller Staub und steif von der langen Fahrt. Nun wurde ich Dons und Doñas vorgestellt, doch ich konnte mir keinen der Namen merken. Isabella, die sich den Großteil der Reise in sich zurückgezogen hatte, erwachte schlagartig zum Leben, sobald die Kutsche vor dem Haus zum Stehen kam.
Mit säuerlicher Miene bezeichnete sie mich als Don Julios jungen Vetter, und ihre Miene machte deutlich, dass sie nicht sehr begeistert
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