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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Einbruch der
Dunkelheit, aber es gibt mehr als einen Durchschlupf in der Mauer, wenn man
weiß, wo man suchen muss.
    Es war ein kühner und gefährlicher Plan, aber ich
glaubte, er würde funktionieren. Die Hilfe des Totengräbers hatte ich mir für
zwei Louis d’or erkauft. Die Wäscherin und ihre Tochter wollten sechs. Das
Schwierigste jedoch wäre, den Nachtwächter von Louis Charles zu überzeugen. An
ihn wandte ich mich erst, als ich die anderen gewonnen hatte. Ich sprach ihn
an, als er vom Gefängnis nach Hause ging, und bot ihm die restlichen zwölf
Louis d’or sowie die Ringe des Herzogs von Orléans. Den Rest meiner Beute –
jene Dinge, die ich dem Herzog gestohlen hatte – würde ich zum Überleben
brauchen, nachdem ich mit Louis Charles aus der Stadt geflohen wäre.
    Er lächelte nicht, als ich auf ihn zutrat, aber er ließ
mich reden und lachte laut auf, als ich ihm die Münzen und Ringe anbot.
    Du glaubst wohl, du wärst die Erste, die so einen Plan
ausgeheckt hat?, fragte er. Es vergeht keine Woche, ohne dass mich jemand in
ein albernes Komplott verwickeln will, und zwar für ganz andere Summen als
dieses Almosen, das du mir bietest. Ich werde genau überwacht. Garantiert ist
uns heute Nacht jemand vom Gefängnis gefolgt und bereits auf dem Weg zu
Fouquier-Tinville, um ihm von unserer Unterhaltung zu berichten. Morgen wird
man mich darüber befragen, und ich werde sagen, dass du eine Freundin bist, die
Arbeit braucht und nur wissen wollte, ob ich von einer Stelle gehört hätte.
    Der Name Fouquier-Tinville war mir bekannt. Nach
Robespierre war er der meistgefürchtete Mann in Paris. Fouquier-Tinville war
das Oberhaupt des Revolutionstribunals, jenes Gerichts, das Leute anklagte,
denen Verbrechen gegen die Republik vorgeworfen wurden. Er schickte jeden Tag
Dutzende auf die Guillotine.
    Doch die Angst hielt mich nicht ab. Bitte, sagte ich zu
dem Mann, Sie müssen ihm helfen, sonst stirbt er. Ich treibe mehr Geld für Sie
auf. Sie werden …
    Er lächelte und klopfte mir freundlich auf den Rücken –
sicher nur für den Fall, dass wir beobachtet wurden. Immer noch lächelnd beugte
er sich zu mir herab und sagte mit leiser und drohender Stimme: Wenn du das
noch einmal probierst, zerre ich dich höchstpersönlich vors Tribunal. Ich habe
Frau und Kinder, und als Toter bin ich nutzlos für sie. Glaub mir, wenn ich dir
sage, dass ich eher dafür sorgen werde, dass dein Kopf im Korb landet, als dir
die Gelegenheit zu bieten, meinen dorthin zu befördern. Dann küsste er mich auf
die Wangen, sagte laut, dass er sehen würde, was er für mich tun könne und
machte sich pfeifend auf den Heimweg.
    Ich sah ihn davongehen und wandte mich dann selbst ab.
Als ich durch die nächtlichen Straßen ging, begriff ich, dass ich Louis Charles
nie würde befreien können, dass es nichts gab, was ich tun konnte. Ich liebte
ihn, ja, aber was vermochte Liebe in einer so dunklen Welt wie dieser auszurichten?
    Ich ging zur Stadtmauer in dieser Nacht, zu einem alten
und schlecht bewachten Teil. Ich hoffte, dort durch ein Loch zu entkommen und
beim Morgengrauen schon ein gutes Stück des Weges nach Calais zurückgelegt zu
haben. Ich würde meinen unrechtmäßig erworbenen Schatz dazu verwenden, mich
nach London durchzuschlagen und dort davon zu leben. Das Schreiben des Herzogs
von Orléans würde mir zu einer Stelle am Garrick-Theatre verhelfen. Zu guter
Letzt käme ich doch noch auf die Bühne. Der Gedanke hätte mich eigentlich
glücklich machen müssen.
    Ich kniete mich am Fuß der Schutzmauer nieder und schob
die Gitarre, die mir die Königin gegeben hatte, durch ein Loch zwischen den
Steinen. Gerade, als ich selbst hindurchkriechen wollte, hörte ich eine
ohrenbetäubende Explosion.
    Nicht schießen!, schrie ich, überzeugt, dass es die
Garde war.
    Ich drehte mich um und erwartete, Männer mit Gewehren
zu sehen, aber es war niemand da. Ich hörte eine weitere Explosion, und dann
noch eine, und bemerkte, dass der Lärm nicht von einem Gewehr, sondern vom
Himmel kam. Über Paris war ein Feuerwerk gezündet worden. Ich konnte mir nicht
vorstellen, zu welchem Zweck. Und dann fiel es mir ein – das Fest des Höchsten
Wesens wurde begangen. Die Revolutionäre hatten Schluss gemacht mit den Königen
und das schloss auch Gott mit ein. Nach einiger Überlegung hatte

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