Das Blut der Lilie
Wasser zu
finden, aber es gibt keines. Von einem Mix aus Qwellify und Alkohol ist
grundsätzlich abzuraten, von zu vielen Qwells und zu viel Wein ganz zu
schweigen. Virgil und Constantin sitzen neben mir. Constantin fragt, was
jenseits des Strands ist. Virgil zeigt uns eine Karte der Katakomben, die er
gezeichnet hat. Sie ist unglaublich detailliert und zeigt Markierungen der
Eingänge und Blockaden, der Räume und Gefahrenstellen.
»Was gefällt dir hier?«, frage ich.
»Es ist ruhig. Keine Touristen. Und für jemanden wie mich,
die einzige Möglichkeit, in einem guten Stadtviertel ein Zimmer zu kriegen«,
antwortet er lächelnd.
Er sieht mich nicht oft an. Selbst dann nicht, wenn er mit
mir spricht. Vermutlich hat er ziemliche Schwierigkeiten mit Khadija. Der
Mistkerl. Das, was bei Sacré-CÅur passiert ist, wirkt im Rückblick absolut
unwirklich. All die Dinge, die er gesagt und getan hat. Ich weià nicht, wer der
gröÃere Trottel von uns beiden ist â er, weil er diesen Mist verbrochen, hat
oder ich, weil ich darauf reingefallen bin.
Eine weitere Gruppe junger Leute trifft ein und die Menge
fordert mehr Musik. Wir sehen uns nach dem Rest unserer Band um. Constantin ist
abgehauen. Charon nirgendwo zu sehen. Khadija kommt herüber, schenkt sich aus
einer Flasche nach, die neben Virgil auf dem Boden steht, und will wieder
gehen.
»Wo willst du hin?«, fragt Virgil.
Sie zwinkert ihm zu.
»Weià Mom, dass du dich immer noch mit Jules triffst?«, fragt
er sie.
»Weià Mom, dass du immer noch hier runter kommst?«, fragt sie
zurück. Dann ist sie weg.
»Mom?«, frage ich verwirrt. Das darf doch nicht wahr sein.
»Ja«, sagt Virgil.
»Warte mal ⦠Khadija ist deine Schwester?«
Er nickt.
»Aber ich dachte â¦Â«
»Was?«
»Du seist ⦠sie sei â¦Â«
»Du dachtest, sie sei meine Freundin?«
»Ja.«
»Bist du deshalb neulich Nacht abgehauen? Bei Rémyâs?«
»Du hast mich gesehen?«
»Ja, ich hab dich gesehen. Du bist reingekommen und dann
wieder gegangen. Ich hatte keine Ahnung, warum. Ich hab dich gerufen, aber du
hast nichts gehört.« Er schweigt einen Moment, dann fügt er hinzu: »Andi, für
wen hältst du mich eigentlich?«
Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass es eine andere
Erklärung geben könnte. Ich habe einfach das Schlimmste angenommen. Weil ich
das immer tue. Bei allem und jedem. Meistens behalte ich recht, aber diesmal
nicht. Diesmal habe ich mich getäuscht. War total auf dem Holzweg.
»Es geht nicht darum, was für ein Mensch du bist, Virgil,
sondern was ich für einer bin«, antworte ich.
Jemand ruft uns zu, wir sollten endlich spielen. Andere
schlieÃen sich an, bis ein ganzer Chor entsteht. Ich sehe Virgil an, dass er im
Moment lieber nicht spielen würde, aber wie er früher am Abend gesagt hat, ist
dies ein bezahlter Auftritt.
»Wie stehtâs mit dir â sollen wir?«, fragt er und sieht sich
um. »Wir sind nur noch zu zweit. Die anderen haben sich alle verdrückt.«
Ich nicke, und wir starten die zweite Session. Ein bisschen
Nirvana. Ein weiteres John-Butler-Stück. Fearless von Pink Flyod. Beautiful von G. Love. Virgil übernimmt den Hauptteil des Gesangs. Ab und zu falle ich
ein. Ich bin nicht so gut wie Khadija, meine Stimme ist zu rau, passt aber zu
diesen Songs. Wir spielen eine Unplugged-Version von Breaking The Girl und Snow , und dann
brauche ich wirklich eine Pause, weil meine Stimme heiser wird, aber Virgil
sagt, er möchte noch mehr von den Chili Peppers spielen. Ich müsse nur
begleiten. Er würde singen.
Er spielt ein paar Akkorde. Ich kenne den Song. Sehr gut
sogar. Und will ihn nicht spielen. Also tue ich es nicht. Ich höre auf. Virgil
jedoch nicht. Er spielt weiter. Zum ersten Mal, seit er mich geküsst hat, sieht
er mich wirklich an. Und wendet während des ganzen Songs den Blick nicht von
mir ab.
My friend is so depressed
I feel the question of her loneliness
Confide ⦠âcause Iâll be on your side
You know I will, you know I will.
Und nun bin ich es, die wegsieht, weil er sich Sorgen macht
um mich, selbst jetzt noch, nachdem ich ihn in die Wüste geschickt und das
Schlimmste von ihm angenommen habe. Das ist mehr als ich verdiene, und ich will
nicht, dass er die Tränen in meinen Augen sieht, während er singt: Imagine me,
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