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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Fahrer des
Lieferwagen stritt sich gerade mit seinem Disponenten. Er sah die beiden nicht.
Erst als er den Knall hörte, wusste er, dass er sie überfahren hatte. Als ihm
klar wurde, was er getan hatte, fiel er in Ohnmacht. Meine Mutter kollabierte
auch, als die Beamten zu ihr nach Hause kamen und berichteten, was geschehen
war. Ich war am Tatort. Die Polizei brachte mich hinterher heim. Mein Vater war
auch da. Er war noch nicht zur Arbeit gegangen. Alles, was er fertigbrachte,
war, mich anzubrüllen: »Wo warst du?« Später hat er sich dafür entschuldigt,
aber ich sagte ihm, dass das nicht nötig sei. Denn er hatte recht. Wo war ich
nur gewesen? Wo zum Teufel war ich gewesen?«
    Ich höre zu reden auf und schlage mir mit den Handflächen an
die Stirn.
    Â»Hey … hör auf«, sagt Virgil und zieht meine Hände weg.
    Ich schüttle den Kopf. »Ich sehe ihn die ganze Zeit, Virgil.
Ich sehe, wie er mir zum Abschied zuwinkt. Nicht, weil er allein weitergehen
will, sondern weil ich es ihm gesagt habe. Ich sehe, wie Max ihn umklammert. Er
hatte solche Angst. Er hat die Arme nach mir ausgestreckt. Wenn ich nur bei ihm
geblieben wäre. Wenn ich Nick nicht getroffen und die Schule nicht geschwänzt
hätte. Wenn ich …«
    Â»All das Wenn zählt nicht. Max hat deinen Bruder getötet.«
    Â»Wenn ich nur …«
    Â»Andi, hast du gehört, was ich gesagt habe? Max hat ihn
getötet. Nicht du. Er hat deinen Bruder vor zwei Jahren getötet. Jetzt tötet er
dich. Lass das nicht zu.«
    Â»Ich weiß nicht, wie ich das machen soll«, antworte ich
hilflos. »Ich versuche, eine Antwort zu finden – mit einem Seelenklempner, mit
meinen Pillen, finde aber keine. Eine Zeit lang hat mich meine Musik am Leben
erhalten, aber nicht einmal das funktioniert mehr. Ich habe das Gefühl, es ist
zu spät für mich. Als wäre der Sprung vom Eiffelturm bloß noch eine Formalität
gewesen. Als wäre ich schon tot.«
    Virgil will gerade etwas erwidern, als jemand einen Knochen
durch das Gewölbe schleudert. Er trifft ihn fast am Kopf. Virgil flucht. »Kein
Wunder«, sagt er. »Nimm deine Sachen, wir hauen von hier ab. Ich sag den
anderen Bescheid. Es könnte einen Moment dauern, bis ich sie alle finde, also
bleib hier sitzen. Ich komme und hole dich dann.«
    Er geht weg, und ich lege meine Gitarre in den Koffer. Es
wird nach Musik gerufen. Jemand stellt den iPod wieder an. Leute beginnen zu
tanzen. Es wird zu einer Rave-Nacht. Pillen werden herumgereicht. Ein Typ
bietet mir einen Joint an, aber ich lehne ab. Es tut mir bereits leid, dass ich
den Wein getrunken habe. Er verträgt sich nicht mit dem Qwell, und ich fühle
mich wie gerädert.
    Ich wünschte, Virgil käme zurück. Jetzt sofort. Ich blicke
mich nach ihm um, kann ihn aber nirgendwo sehen. Ich packe auch seine Sachen
zusammen, damit wir schneller fortkommen. Ich lege seine Gitarre in den Koffer,
falte seine Karte zusammen und stecke sie in meine Tasche. Ich sehe auf die
Uhr. Die Zahlen verschwimmen vor meinen Augen, was mich ziemlich nervös macht.
Als ich sie wieder deutlicher erkenne, sehe ich, dass es fast Mitternacht ist.
Constantin geht vorbei. Gerade, als ich ihn fragen will, ob er Virgil gesehen
hat, spüre ich eine Hand auf meiner Schulter.
    Â Â 66  
    Es ist nicht Virgil.
    Es ist der Gruftie, der irre Typ. Er blickt auf mich hinab,
und das Gefühl, ihn zu kennen, ist so stark, dass es mir Angst macht. Er hat
dunkle Augen, hohe Wangenknochen, dichte, zum Pferdeschwanz gebundene Haare.
Sein Gesicht ist geisterhaft weiß gepudert, die Lippen rot angemalt, und auf
seiner rechten Wange klebt ein schwarzer Schönheitsfleck. Er trägt diese
flippigen, an den Knien abgeschnitten Hosen, ein offenes Rüschenhemd, eine
lange Seidenweste und ein rotes Band um den Hals geschlungen. Alles wirklich
sehr merkwürdig.
    Â»Was ist das für eine Musik?«, fragt er und macht mit dem
Kopf ein Zeichen in Richtung des iPods.
    Â»Weiß ich nicht. Irgendein House-Mix«, antworte ich.
    Â»Aber was ist das, was die Musik macht?«, fragt er.
    Â»Ã„hm … ein iPod?«
    Â»So ein Ding habe ich noch nie gesehen.«
    Â»Vielleicht ist es ein neues Modell«, antworte ich.
    Er setzt sich neben mich, streicht über meinen Gitarrenkoffer
und sagt: »Ihr Spiel hat mir gefallen. Sehr sogar. Und das Instrument hat einen
schönen Klang. Wer hat es

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