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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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gebaut?«
    Â»Es ist eine Gibson.«
    Â»Darf ich?«, fragt er und deutet auf den Koffer.
    Ich nehme die Gitarre heraus und reiche sie ihm. Er
inspiziert sie. »Wie ungewöhnlich«, sagt er. »Der Körper ist ein gutes Stück
größer, als bei den meisten, die ich gesehen habe. In Italien.«
    Â»Mann, das ist eine Gibson. Sie ist aus Amerika«, erwidere
ich ein wenig genervt von ihm und seinem Gesülze.
    Â»Die Amerikaner«, sagt er. »Ich wusste nicht, dass dort so
gute Lautenbauer arbeiten. Vielleicht ist es doch ein zivilisierterer Ort, als
man geneigt ist anzunehmen.«
    Â»Wahrscheinlich. Willst du mal darauf spielen oder was?«
    Er nickt und spielt ein Stück von Jean-Baptiste Lully. Ich
kann in dem Lärm fast nichts hören, aber was ich höre, ist wundervoll. Er ist
ein erstaunlicher Musiker. Nein, er ist umwerfend.
    Â»Das ist ein wertvolles Instrument«, sagt er, nachdem er
geendet hat und die Gitarre wieder in den Koffer zurücklegt. »Ich schreibe auch
Musik«, fügt er hinzu. »Oder besser gesagt, ich schrieb welche.«
    Sein Blick fällt auf das rote Band um meinen Hals. »Ich
wusste nicht, dass Sie zu uns gehören. Ich habe Sie auf dem Ball der Witwe
Beauharnais nicht gesehen. Oder auf einem der anderen Bälle«, sagt er. »Wer ist
Ihre Familie?«
    Â»Was geht dich das an?«, frage ich gereizt. Mir wird langsam
schwindlig. Es war ein Fehler diesen Wein zu trinken, ein sehr großer. Ich möchte,
dass Virgil zurückkommt. Ich möchte hier raus.
    Â»Haben Sie keine Angst. Ihr Geheimnis ist bei mir gut
aufgehoben. Meine Freunde … sehen Sie sie dort? Stéphane, François, Henri …
sind alle nur knapp entkommen.« Er berührt leicht mein Band. »Sie tragen das
rote Band. Tragen wir es im Grunde nicht alle?«, fragt er und deutet auf seine
Freunde. »Haben wir nicht alle gelitten? Wen haben Sie verloren?«
    Meine Finger umschließen Trumans Schlüssel. Woher weiß er,
dass ich jemanden verloren habe? »Meinen Bruder«, antworte ich.
    Er nickt. Seine Augen sind traurig. »Mein Beileid, Monsieur.«
    Monsieur? Hält er mich für einen Typen?Was soll das? Gerade, als ich
ihm sagen will, dass er sich täuscht, fragt er: »Wer sind die anderen auf
diesem Ball der Opfer? Ich kenne keinen von ihnen.«
    Opfer? Ball? Die ganze Sache wird immer verrückter. Ich
erinnere mich, von dem »Ball der Opfer« bei meinem Besuch in den Katakomben
gehört zu haben. Adlige, die während des Terrorregimes Familienmitglieder auf
der Guillotine verloren hatten, hielten nach
dem Sturz von Robespierre solche Bälle hier unten ab.
    Â»Ist das ein schulisches Geschichtsprojekt?«, frage ich ihn.
»Eine Art Nachspielen historischer Ereignisse oder so was?«
    Jetzt wirkt er verwirrt. Gerade, als er mir antworten will,
wird er unterbrochen.
    Â»Weg hier!«, ruft jemand. »Die Bullen!«
    Â Â 67  
    Leute fluchen, schreien, stecken ihren Shit und ihre Pillen
ein, hasten wild durcheinander und stoßen Kerzen um. Ich kann kaum noch etwas
sehen. Ein Typ rennt mich um. Eine Tasche knallt mir an den Kopf. Zwei
Höhlenforscher rasen mit brennenden Stirnlampen an mir vorbei.
    Ich hänge meine Tasche über die Schulter, packe meine Gitarre
und rapple mich hoch. In dem Moment stößt ein Mädchen mit mir zusammen und
schlägt mich wieder beinahe zu Boden. Ich will weglaufen, weiß aber nicht,
wohin.
    Â»Virgil«, rufe ich.
    Â»Andi! Wo bist du?«
    Â»Ich bin hier! Hier drüben!«
    Ich kann ihn nicht sehen. Erneut überkommt mich ein so
starker und schrecklicher Schwindel, dass ich glaube, mich übergeben zu müssen.
Ein Megafon ertönt. Die Polizei befiehlt uns, stehen zu bleiben und nicht in
Panik zu geraten. Worauf jeder panisch reagiert. Ich spüre, wie mich jemand am
Arm zieht.
    Â»Lassen Sie ihn!«, ruft eine Stimme.
    Â»Ich kann nicht! Er ist einer von uns!«, ruft der Gruftie
zurück. »Kommen Sie! Beeilen Sie sich! Dort werden Sie uns nicht finden. Keinen
von uns«, sagt er zu mir.
    Er zerrt mich in einen Tunnel hinein. Ich stolpere über meine
Füße. Drehe und winde mich, um mich loszureißen. Ich will nicht mit ihm gehen.
Ich will Virgil finden. Schließlich mache ich mich los.
    Â»Virgil? Wo bist du?«, schreie ich. Ich kann ihn nicht sehen.
Ich kann überhaupt nichts sehen, weil ohne Kerzen hier unten

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