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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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um.«
Er bricht abrupt ab und sieht aus, als würde er seine Worte sorgfältig abwägen.
»Sie müssen auch mit dem aufhören, was Sie nachts tun.«
    Â»Ã„hm … was mache ich nachts denn? Schnarchen?«
    Er schlägt mit der Faust auf den Tisch und erschreckt mich zu
Tode. »Das ist kein Scherz!«, schreit er. »Auf Ihren Kopf ist eine Belohnung
ausgesetzt! General Bonaparte will Ihren Tod! Sie müssen aufhören, diese
Feuerwerke zu zünden, sonst werden Sie bald nicht mehr unter den Lebenden
sein.«
    Ich verstehe nicht. Überhaupt nichts. Dann dämmert es mir.
    Â»Warten Sie, Amadé«, sage ich lachend. »Amadé, Sie denken
doch nicht, dass ich der Grüne Mann bin?«
    Er antwortet nicht sofort, sondern starrt mich bloß an. Nach
einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkommt, sagt er: »Warum glauben Sie,
habe ich Ihnen geholfen? Sie aufgenommen? Sie von den Straßen ferngehalten,
damit die Wachen Sie nicht finden? Schon damals, als ich Sie zum ersten Mal in
den Katakomben sah, erriet ich, wer Sie sind. Wegen des Schlüssels um Ihren
Hals. Ich sah das ›L‹ darauf. Es steht für Louis, den Waisenknaben im Turm. Er
ist derjenige, für den Sie die Feuerwerkskörper zünden, nicht wahr?«
    Â»Nein, Amadé, Sie täuschen sich. Ich bin nicht …«
    Er lässt mich nicht ausreden. »Und dann heute am Temple. Wenn
ich noch irgendwelche Zweifel gehegt habe, wurden Sie durch Ihr dortiges
Verhalten zerstreut. Ich habe Sie als den Grünen Mann erkannt. Sie riskieren
Ihr Leben für das Kind. Sie erleuchten den Himmel, damit er weiß, dass er nicht
vergessen ist.«
    Â»Hören Sie, ich bin nichtder Grüne Mann. Ich schwöre bei
Gott, dass ich es nicht bin.«
    Er schüttelt angewidert den Kopf, legt die Gitarre weg und
geht zum Kaminsims. Dort steht eine kleine Holzkiste. Er nimmt etwas heraus und
legt es vor mich auf den Tisch. Es ist ein kleiner Ebenholzrahmen mit zwei
Miniatur-Porträts darin. Sie zeigen einen Mann und eine Frau, königlich und
elegant, und beide halten Rosen in der Hand. Ich habe sie schon einmal gesehen.
Auf dem Porträt von Amadé, das in dem Haus in der Nähe des Bois de Boulogne
hängt. Das Schild an der Wand daneben besagte, es handle sich wahrscheinlich um
Malherbeau und seine Verlobte, aber wenn ich sie jetzt anschaue, bin ich mir
nicht mehr so sicher.
    Â»Wer sind die beiden?«, frage ich.
    Â»Der Graf und die Gräfin von Auvergne. Meine Eltern«,
antwortet er.
    Â»Amadé, Sie sind ein Adliger?«, frage ich verblüfft.
    Er nickt.
    Â»Aber in den Büchern … steht es nicht so. Dort steht nur, Sie
seien 1794 nach Paris gekommen.«
    Â»Ich weiß nicht, von welchen Büchern Sie sprechen, aber ja,
ich kam 1794 nach Paris. Ich hatte keine andere Wahl.«
    Dann setzt er sich und erzählt mir, dass er, sein Vater und
seine Mutter in einem altem Landschloss in der Auvergne gelebt haben. Es war
schön dort. Er war glücklich. Seine Eltern waren beide musikalisch und sorgten
dafür, dass er Musikunterricht bekam. Er erhielt Klavier- und Geigenstunden und
lernte von frühester Jugend an, Gitarre zu spielen. Er zeigte großes Talent und
komponierte seit seinem achten Lebensjahr. Es gab Pläne, ihn kurz nach seinem
vierzehnten Geburtstag nach Wien zu schicken, damit er dort seine Studien
fortsetzte. Das war im Herbst 1789.
    Â»Ein paar Monate, bevor ich abreisen sollte jedoch, wurde
mein Vater als Vertreter des Adels zur Versammlung der drei Stände nach
Versailles berufen. Ich verschob meine Reise – nur um ein paar Wochen, wie ich
dachte –, damit meine Mutter nicht allein wäre. Es war der Anfang der
Revolution. Und das Ende meiner Familie.«
    Â»Was ist geschehen?«, frage ich und fürchte mich vor der
Antwort.
    Â»Wie viele andere Adlige auch unterstützte mein Vater die von
den Revolutionären geforderten Reformen«, fährt er fort. »Das Land war
bankrott. Das alte Regime korrupt. Frankreich brauchte einen Wandel, das sah er
ein. Doch nach den Attacken auf die Tuilerien, nach den Massakern, hatte er
genug. Ihm wurde klar, dass man ein Ungeheuer geschaffen hatte, das sich nicht
mehr bändigen ließ. Ende des Jahres wurde dem König der Prozess gemacht. Fast
alle Delegierten stimmten für seinen Tod. Es wäre Selbstmord gewesen, für Gnade
zu stimmen, aber mein Vater tat es. Er war dem König

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