Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
Vom Netzwerk:
gegenüber immer loyal
gewesen. Meine Familie hatte ein Motto. Es stand auf unserem Wappen. Es lautete
…«
    Â»Aus dem Blut der Rosen wachsen Lilien.«
    Â»Sie kennen das Motto?«, fragt er überrascht.
    Â»Ja, ich kenne es«, antworte ich. Ich kenne es von dem
Familienwappen der Grafen von Auvergne in G.s Treppenhaus.
    Â»Mein Vater wurde als Monarchist beschimpft, als Verräter der
Revolution. Ein paar Tage nach dem Tod des Königs wurde unser Familienvermögen
eingezogen. Die Revolutionäre nahmen uns alles. Ländereien und Gebäude, die
meinen Vorfahren im elften Jahrhundert von Heinrich I .
verliehen worden waren. Mein Vater und meine Mutter kamen ins Gefängnis. Am
Vorabend seines Prozesses besuchte ich meinen Vater. Er verriet mir, wo er ein
paar Goldmünzen vergraben hatte. Und dann schärfte er mir ein, dass ich, ganz
gleichgültig, was ich in dem Prozess auch zu hören bekäme, immer sein geliebter
Sohn bleiben würde. In dieser Welt und in der nächsten. ›Lebe, mein geliebter
Sohn.‹ – Das waren seine letzten Worte an mich.«
    Amadé hält inne und starrt ins Feuer. Es dauert eine Weile,
bevor er weiterspricht. »Als Sohn eines Verräters drohte mir selbst eine
Anklage, und das wäre vermutlich auch geschehen, wenn mein Vater während seines
Prozesses nicht plötzlich aufgestanden wäre und die jakobinischen Ankläger, die
Revolution und alles angeprangert hätte. Dann wandte er sich an mich. Er nannte
mich einen schmutzigen Anhänger Robespierres und einen Verräter des Königs. Er
sagte, ich sei nicht länger sein Sohn. Er nannte mich einen Lügner und einen
Bastard.
    Ich war schockiert. Ich stritt mit ihm. Schrie ihn an. Alles
vor den jakobinischen Richtern, dem ganzen Tribunal. Genau das hatte er
beabsichtigt. Seine Worte waren Lügen, allesamt, aber diese Lügen retteten mir
das Leben. Ich wurde nie belangt, nie angeklagt. Nach dem Prozess meines Vaters
zog der Hauptankläger, ein schmierigen Jakobiner mit schmutzigen Hosen und
schwarzen Zähnen, in unser Haus. Ein Haus, in dem sich Könige aufgehalten
hatten. Wo Schriftsteller, Maler und Musiker – die größten ihrer Zeit – gewohnt
hatten …«
    Seine Stimme bricht ab.
    Â»Und Ihre Eltern?«, frage ich. »Was ist mit ihnen passiert?«
    Â»Sie wurden hingerichtet. Auf dem Dorfplatz, wie gewöhnliche
Verbrecher. Ich wurde gezwungen zuzusehen.«
    Â»Amadé …«, flüstere ich.
    Seine Augen werden feucht. »Ich verließ die Auvergne und ging
nach Paris. Änderte meinen Namen. Früher hieß ich Charles-Antoine. Bevor ich
ging, grub ich das Gold aus, von dem mein Vater gesprochen hatte. Das hielt
mich eine Weile über Wasser. Ich konnte spielen und komponieren, also schrieb
ich Stücke fürs Theater. Oberflächliche, alberne Dinge, aber andernfalls hätte
ich hungern müssen. Doch jetzt kann ich das nicht mehr. Ich kann überhaupt
nichts mehr schreiben. Ich versuche es, aber hübsche Melodien machen mich
inzwischen krank. Mein Herz, meine Seele, mein ganzes Selbst trauert. Um meine
Eltern, um unser verlorenes Leben, um dieses Land …« Seine Stimme versagt. Er
bedeckt das Gesicht mit den Händen.
    Es bricht mir das Herz, ihn so zu sehen. Ich greife nach
seiner Hand, aber sie ist zur Faust geballt, und er öffnet sie nicht. Also
nehme ich stattdessen meine Gitarre und spiele ihm etwas vor. Die Bach-Suite
Nr. 1.
    Nach ein paar Minuten greift er sich sein Instrument und
schließt sich mir an. Die Trauer ist so tief, und wir haben keine Worte, aber
die Musik … die Musik spricht. Ich patze ein paar Mal, wie immer bei diesem
Stück. Amadé hält inne. Er wischt sich die Tränen von den Wangen und zeigt mir
dann, wie er die Noten greift. Ich tue es ihm gleich. Es funktioniert.
    Nach dem Bach-Stück spiele ich Rain Song für ihn, weil ich
weiß, dass ihm Jimmy Pages Gitarre gefällt. Er hört ein Mal zu, beim nächsten
Mal kann er mich fast schon begleiten, und nachdem wir es noch zwei Mal
gespielt haben, hat er es drauf. Er spielt brillant. Verglichen mit ihm, bin
ich grottenschlecht.
    Ich spiele Bron-Y-Aur , die nicht-stampfende Version. Ten Years Gone , Over The Hills and
Far Away , Stairway und Hey Hey What
Can I Do ?
    Wir machen viele Unterbrechungen. Damit ich den Rhythmus für
ihn klopfen oder ein Riff wiederholen kann. Damit er meine

Weitere Kostenlose Bücher