Das Blut der Lilie
ein ohrenbetäubender Knall. Und dann noch einer.
Die Raketen explodieren. Sie brechen die Nacht auf, zerreiÃen die Dunkelheit.
Er kann es hören. Das weià ich. Selbst die dicken Mauern des
Temple können den Lärm nicht abhalten. Und sehen kann er es auch. Oh, ich
hoffe, dass er es sehen kann. Denn wenn er es sieht, wird er wissen, dass sich
jemand erinnert. Dass er nicht allein ist. Dass Millionen Sterne in der
Dunkelheit funkeln. Für ihn.
Ich hielt Trumans Hand am Ende. Ich kniete mich nieder auf
der StraÃe. In das Blut. Ich schob die Polizisten zur Seite und griff nach
seiner Hand. Und ich sah es. Bevor es für immer ausging. Ich sah das Licht in
seinen Augen. Ein letztes Mal.
Â
Wende
dich ab. Von der Dunkelheit, vom Wahnsinn, vom Schmerz.
Ãffne
die Augen und sieh ins Licht.
  78 Â
Benoît, der Küchenjunge im Foy, ist ein hinterhältiger
Mistkerl, genau wie Alex gesagt hat. Doch ich brauche ihn. Die Gemächer des
Herzogs von Orléans sind verschlossen und versiegelt. Nur durch einen
Kellergang kommt man hinein, doch den bewacht Benoît.
»Ich hab dich seit Tagen nicht mehr gesehen. Ich dachte
schon, du wärst für immer fort. Warum bist du zurückgekommen?«
Er glaubt auch, ich sei Alex. Wie Fauvel. Ich muss wohl
tatsächlich so aussehen wie sie.
»Ich hab was vergessen. Das muss ich holen«, erkläre ich ihm.
»Dann bezahl mich zuerst«, antwortet er.
»Nein, bring mich zuerst in die Räume des Herzogs.«
»Erst bezahlst du mich.«
»Hör zu, ich hab nichts. Lass mich rein und du kriegst dein
Geld.«
Benoit kratzt sich am Hals, findet etwas, was darauf
herumkrabbelt und zerdrückt es zwischen den Fingern.
»Also gut.« Er nimmt einen Korb Kartoffeln und reicht ihn
mir. »Stell ihn dir auf die Schulter. So. Damit man dein Gesicht nicht sieht.
Geh hinter mir her und haltâs Maul.«
Er führt mich in die Küche des Foy und sieht sich schnell um.
Der Koch brüllt einen Gehilfen an. Zwei Männer rollen Teig aus. Andere öffnen
Austern. Schneiden Gemüse. Rupfen Hühner.
»Beeil dich, los!«, bellt Benoît mich an und tut so, als sei
ich ein Lieferantenjunge. »Nein! Nicht da! Hier entlang, du Dummkopf!«
Niemand wirft einen Blick auf uns, während er mich zum
anderen Ende der Küche führt, dann scharf nach rechts abbiegt und eine Treppe
hinuntersteigt. Ich trotte hinter ihm her, bis wir in einen groÃes, kühles
höhlenartiges Gewölbe kommen, wo zahlreiche Körbe mit Ãpfeln, Birnen,
Kartoffeln und Karotten stehen.
»Stell den Korb dorthin«, sagt er und nimmt eine Laterne von
der Wand. »Beeil dich. Ich muss wieder rauf.« Ich stelle meinen Korb ab und er
gibt mir die Laterne. »Wenn du zurückkommst und mein Geld nicht hast, ruf ich
die Wachen. Ich sag ihnen, ich hätte gesehen, wie du dich in eine Wohnung
geschlichen hast, die vom Staat versiegelt worden ist. Man wird dich ins
Gefängnis werfen.«
Ich zweifle keinen Moment, dass er es ernst meint. Sogleich,
als ich im Hof hinter dem Foy auf ihn zugegangen war, hatte er gefragt, wie
viel ich ihm geben würde. »Einen Louis dâor«, hatte ich gesagt. Hoffentlich
finde ich einen.
»Du hast eine Stunde. Ich warte auf dich«, sagt er und
verschwindet die Steintreppe hinauf.
Ich gehe tiefer in den Keller hinein, an groÃen Weinfässern
und staubigen Flaschen vorbei, habe aber keine Ahnung, wohin ich gehen muss.
Das durfte ich Benoît jedoch nicht sagen. Er hält mich für Alex, und sie hätte
den Weg gekannt. Ich sehe eine weitere Treppe, steige hinunter und bin in einem
gröÃeren, kühleren Kellergewölbe. Ich komme an Kisten mit Fisch, Austern und
Muscheln vorbei, die auf groÃen Eisstücken lagern, an Körben mit Eiern und
zerteilten Tieren. Es gibt noch eine Treppe â und die führt nach oben. Am
oberen Ende ist eine Tür. Ich drücke sie mit der Schulter auf, schlüpfe hindurch
und sehe mich um.
Ich scheine wieder in einer Art Lager zu sein. Die Wände sind
aus Stein, und von der Decke hängen scheuÃlich aussehende Haken. Von dort aus
komme ich in einen Saal, der die Küche sein muss, was wirklich erstaunlich ist,
denn sie ist gröÃer als die Wohnung der meisten Leute. Sie hat eine gewölbte
Steindecke. Meterlange Arbeitstische. Backofen so groà wie Autos. Hier muss es
zu des Herzogs Lebzeiten nur so
Weitere Kostenlose Bücher