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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Dyson …«
    Â»Hallo, Minna.«
    Ein paar Sekunden verstreichen, während der Zylon aus dem All
am anderen Ende ein mentales Stimmerkennungsprogramm durchrattern lässt. Dann
höre ich: »Andi? Bist du das?«
    Â»Ja, ich bin’s. Ähm … ich hab gerade meine Scheckkarte
ausprobiert. Sie läuft doch auf Dads Konto? Aber irgendwas stimmt nicht. Ich
will mir gerade was zu essen kaufen, kriege aber kein Geld damit.«
    Â»Das liegt daran, dass ich die Karte haben sperren lassen«,
antwortet Minna. »Gestern wurden damit im Abstand von einer Stunde zwei
Abhebungen gemacht. Eine mit einhundert, die andere mit zweihundert Euro. Die
Bank hat mich angerufen. Ich dachte, die Karte sei gestohlen worden.«
    Â»Das war ich. Ich hab für ein paar Sachen Geld gebraucht.«
    Â»Du hast dreihundert Euro gebraucht?«, fragt Minna. »Das ist
eine Menge Geld, Andi. Du kannst nicht einfach so mir nichts dir nichts
dreihundert Euro abheben, wenn dir gerade danach ist.«
    Â»Bist du jetzt der Finanzminister?«
    Schweigen. Dann: »Bitte deinen Vater um Geld.«
    Â»Hab ich versucht. Er geht nicht an sein Handy.«
    Â»Ich weiß nicht, was ich dazu noch mehr sagen soll. Ich bin
mir sicher, du hast noch ein bisschen Kleingeld von deiner Einkaufstour. Besorg
dir ein Sandwich.« Die Verbindung wird unterbrochen, dann höre ich sie wieder.
»… muss jetzt los. Bin im Labor.«
    Â»Warte! Minna? Hey, ich hab Hunger hier!«, brülle ich ins
Telefon.
    Sie legt auf. Ich kann es nicht fassen. Inzwischen bin ich so
hungrig, dass ich zittere. Ich stecke mein Handy in die Tasche und spüre, dass
noch etwas darin ist. Eine Münze. Ich ziehe sie heraus. Es ist ein glänzender
goldener Euro – der Euro, den mir der alte Mann auf dem Quai gestern gegeben
hat. Ich hatte ihn ganz vergessen. Aber der hilft mir auch nicht viel weiter.
Davon könnte ich mir nicht mal ein halbes Sandwich kaufen.
    Dann dämmert es mir: Wenn ich einen Euro fürs Spielen auf dem
Quai bekommen habe, wo im Winter kaum einer hingeht, wie viel könnte ich dann
erst kriegen, wenn ich dort spielen würde, wo die Touristen sind?
    Ich laufe zu G.s Wohnung zurück und hole meine Gitarre.
    Â Â 22  
    Ich spiele Shit-tarre.
    Es ist so kalt, dass meine Finger taub sind und ich die Noten
nicht treffe.
    Ich spiele in der Nähe des Eiffelturms. Es wimmelt vor
Touristen. Ich bin schon stundenlang hier. Spiele mir das Herz aus dem Leib.
Versuche, die Tauben, die Schneeflocken und die Horden von Straßenmusikern zu
ignorieren, die mich zu übertönen versuchen.
    Es ist schon fast sechs, und ich bin hungriger denn je. In
meinem Koffer liegen ein paar Münzen, vielleicht fünf Euro insgesamt. Kaum
genug für ein bisschen Brot und Käse.
    Ich fummle mich durch All Apologies, lege die Gitarre
weg und blase auf meine Finger, aber es hilft nichts.
    Â»Klemm sie unter die Achseln.«
    Ich blicke auf. Vor mir steht ein Typ in einem orangen
Overall, zu seinen Füßen eine Werkzeugtasche. Er sieht aus wie ein
Serienkiller.
    Â»Was?«
    Â»So«, sagt er, verschränkt die Arme vor der Brust und schiebt
die Hände in die Achselhöhlen. »Das funktioniert besser, als draufzupusten.«
    Ich versuche es. Er hat recht.
    Â»Gefällt mir, wie du spielst«, sagt er. »Lust auf ’ne
Jam-Session?«
    Â»Womit denn, Mann? Mit einem Hammer?«
    Er dreht sich um. Auf seinem Rücken hängt eine Art
Mandolinenkoffer.
    Ich zucke die Achseln. »Na schön. Also gut.«
    Vielleicht klingen wir zusammen besser, denke ich. Zumindest
lauter. Wie auch immer, wir könnten mehr Geld machen, und ich brauche Geld. Er
wärmt sich auf und wir spielen Pennyroyal Tea und danach ein paar Stücke von
Elliot Smith und Nada Surf. Passanten bleiben stehen und hören zu. Ein paar
werfen Münzen. Wir spielen ungefähr eine Stunde, dann teilen wir die Beute. Es
sind gerade mal etwas über sieben Euro für jeden.
    Â»Ich heiße übrigens Jules«, sagt der Typ. »Ich arbeite da
drüben.« Er deutet mit dem Daumen nach Osten. »Bei einem Möbelschreiner.«
    Das erklärt den orangen Overall. Hoffe ich.
    Â»Ich bin Andi«, sage ich.
    Â»Möchtest du mit zu Rémy’s? Das ist ein Café. Auf der Rue
Oberkampf. Mittwochs und samstags spiele ich dort. Seit ein paar Wochen
allerdings nicht mehr, wegen einem von den Typen, mit denen ich

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