Das Blut der Lilie
dunkler als die
Mitternacht, trafen die meinen. Philippe, Herzog von Orléans, sagte er.
Der Herzog von Orléans. Cousin des Königs. Und ich
hatte mit ihm gesprochen wie mit einem Küchenjungen.
Schnell machte ich einen Knicks und senkte den Blick.
Ich bitte um Vergebung, mein Herr, stammelte ich. Er gewährte sie. Ich sagte,
wir müssten zurück, weil sich die Königin sonst Sorgen mache. Wir wünschten ihm
eine gute Nacht. Wir waren noch keine fünf Schritte gegangen, als Louis Charles
rief: Meine Maske!
Ich drehte mich um. Der Herzog von Orléans hielt sie in
der Hand. Er zwang mich, nahe zu ihm zu treten. Er lächelte, als ich sie nahm,
aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht. Schnell wie eine Viper packte er
mein Handgelenk und zog mich an sich. Du spielst ein gefährliches Spiel,
Schauspielerin, sagte er ruhig. Nimm dich in Acht. Nicht alle Rollen sind so
einfach zu spielen.
Er lieà mich los. Ich wich zurück, drehte mich um und
ergriff Louis Charlesâ Hand.
Nie zuvor hatte ich solche Angst gehabt. Was hatte er
damit gemeint? Konnte er meine Gedanken lesen? Wusste er, dass ich das Kind nur
benutzte? Würde er es der Königin sagen?
Ich schalt mich wegen meiner Dummheit. Niemand konnte
in einen anderen hineinsehen. Nur Gott und der Teufel konnten das. Der Herzog
hatte mich nur getadelt, weil ich dem Dauphin erlaubt hatte, sich beim
Versteckspiel so weit zu entfernen.
Schwatzend hüpfte Louis Charles neben mir her, als wir
zu der Gesellschaft zurückgingen. Er wiederholte, wie gut er mich hinters Licht
geführt habe, und brüstete sich mit seiner Schlauheit. Ich lachte, spielte mit,
und sagte, ich hätte geglaubt, die Zigeuner hätten ihn entführt. Doch die ganze
Zeit lieà mich ein Gedanke nicht los.
Aber noch besser hat sich dein Cousin, der Herzog von Orléans,
während des Festes versteckt, sagte ich. Ich habe keine Wolfsmaske beim Diner
gesehen. Keine einzige.
Oh, er war nicht eingeladen, antwortete Louis Charles.
Das wird er nie. Mamam mag ihn nicht. Ich habe gehört, wie sie mit Tante
Elizabeth über ihn gesprochen hat. Sie sagt, er spielt den Rebellen, will aber
König sein. Ich finde ihn aber gar nicht so übel.
Ich drehte mich um und erwartete, den Herzog Orléans
noch immer auf der Bank sitzen zu sehen, ruhig und stumm, während die Ringe an
seinen Fingern im Mondlicht blitzten.
Aber die Bank war leer.
Der Wolf war fort.
30. April 1795
Der Herbst kam. Die Blätter fielen, der Himmel wurde
grau, und vorausschauende Adlige machten sich auf und davon wie Schwäne im
Märchen. Man hatte sie in den StraÃen angespuckt, Unrat gegen ihre Kutschen und
Steine durch ihre Fenster geworfen. Sie hatten gesehen, was der König nicht
sehen wollte.
Der Graf von Artois, der hübsche, lachende Bruder des Königs,
warf Louis Charles hoch in die Luft, bevor er ihn zum Abschied küsste und ihm
versprach, bei seiner Rückkehr eine ganze Armee von Zinnsoldaten mitzubringen.
Die Herzogin von Polignac, die geliebte Gouvernante des
Jungen, blinzelte ihre Tränen weg, als sie ihn umarmte. Es ist nur für eine
kleine Weile, sagte sie. Ich bin bald wieder zurück. Im Frühling, wenn die
Kirschbäume blühen. Das verspreche ich.
Wir kletterten auf einen Baum und beobachteten, wie die
Kutschen abfuhren, bis nur noch eine Staubwolke zu sehen war.
Der fünfte Oktober 1789
begann mit Regen in der Morgendämmerung. Kein Staubkorn wirbelte auf an diesem
Tag. Andernfalls wäre der König vielleicht gewarnt worden. Er hätte Zeit gehabt
nachzudenken. Eine Entscheidung zu treffen. Seine Familie in eine schnelle
Kutsche zu packen und fortzufahren. Aber auf den Wegen lag nur Schlamm.
Aufgewühlt von den Frauen und Soldaten aus Paris. Sie kamen mit Piken und Messern
bewaffnet, hungrig und wütend. Sie kamen, um den König und die Königin zu
holen.
Vor ihnen traf ein Reiter ein. Ich sah ihn. Ich befand
mich in den Gemächern der Königin, um Louis Charles zu unterhalten. Plötzlich
ertönten Rufe von drauÃen. Ein Mann, der schmutzige Spuren hinterlieÃ, lief
stolpernd durch den Marmorhof und die Treppe der Königin hinauf, mehrere
Höflinge im Schlepptau. Er verbeugte sich und sagte mit belegter Stimme:
Ich komme aus Paris, Majestät. Heute Morgen gab es
einen Aufruhr vor dem Rathaus. Die Marktweiber waren dort hinmarschiert, um
Brot zu fordern. Als der Bürgermeister sagte,
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