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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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er habe keines, plünderten sie
das Gebäude. Nahmen Waffen und Munition. Die Pariser Garde wurde gerufen,
weigerte sich aber, auf die Weiber zu schießen. Eine Frau rief dazu auf,
gemeinsam nach Versailles zu gehen und den König um Brot zu bitten. Der Ruf
wurde lauter, und sie machten sich auf den Weg. Lafayette schätzt sie auf
sechstausend.
    Wir haben das Flandrische Regiment hier und unsere Leibwache,
sagte die Königin. Die werden doch leicht mit einem Haufen Weiber fertig.
    Der Mann schüttelte den Kopf. Die Pariser Garde
marschiert mit ihnen, entgegnete er.
    Aber Lafayette ist ihr General!, erwiderte die Königin.
Warum hat er sie nicht aufgehalten?
    Das hat er versucht, aber die Garde ist fünfzehntausend
Mann stark. Hätte er sich geweigert, mit ihnen zu gehen, wären sie desertiert.
Oder hätten ihn umgebracht. Er befehligt sie immer noch. Aber im Grunde nur
noch auf dem Papier.
    Die Königin wurde bleich. Der König …, sagte sie. Wo
ist der König?
    Auf der Jagd, Madame, lautete die Antwort.
    Findet ihn schnell! Bevor der Mob es tut!, rief sie.
    Die Leibwache des Königs wurde ausgesandt. Sie fanden
ihn und brachten ihn schnell in den Palast zurück. Die Tore wurden
verschlossen. Der königliche Rat einberufen. Der König müsse die Menschenrechte
akzeptieren, sagten die Minister, und die August-Dekrete. Nein, er müsse
augenblicklich fliehen. Nein, er dürfe nichts dergleichen tun und sich nicht
unterjochen lassen.
    Der König selbst wünschte nur, die Kinder und die
Königin in Sicherheit zu bringen, aber diese wollte ihn nicht verlassen. Und so
blieb er und weihte alle dem Untergang.
    Die Marktweiber trafen fröstelnd, müde und durchnässt
am Abend ein und mussten feststellen, dass sie vor verschlossenen Palasttoren
standen. Der König sprach mit einigen von ihnen. Er sagte, wie leid ihm ihre
Sorgen täten, und versprach, dass Paris sofort Getreide geliefert bekäme. Er
befahl, dass man ihnen Essen und Wein brachte, wodurch sich einige beschwichtigen
ließen.
    Doch um Mitternacht traf die Pariser Garde ein und ließ
sich weniger leicht besänftigen. Es kam zu Zusammenstößen zwischen den
Gardisten und der königlichen Leibwache. Ich blieb nicht im Bett, denn ich
machte mir zu große Sorgen, redete mit Barère, dem Hauptmann der Garde des
Dauphins, und sah dem Gerangel vom Fenster aus zu. Einer der königlichen Diener,
ein Freund des Hauptmanns, kam kurz vor Tagesanbruch zu uns und erzählte,
Lafayette habe im Namen seiner Soldaten und der Marktfrauen dem König eine
Liste mit Forderungen vorgetragen.
    Erstens – er solle seine königliche Garde entlassen und
der Pariser Garde erlauben, ihn zu beschützen. Zweitens – er müsse für
Nahrungsmittel in der Stadt sorgen. Und drittens – er
müsse Versailles verlassen und fortan in Paris leben. Der König habe den ersten
beiden Forderungen zugestimmt, über die dritte wollte er nachdenken. Dann habe
er sich in seine Gemächer zurückgezogen, während Lafayette zu einem Gasthaus in
der Stadt geritten sei, in der Hoffnung dort ein Bett zu finden.
    Barère riet mir, wieder schlafen zu gehen, was ich aber
nicht tat. Jenseits der Palasttore brannten helle Fackeln. In der Dunkelheit
konnte ich die Revoltierenden zwar nicht sehen, aber hören. Die Verwünschungen
und Flüche, das Geschrei und trunkene Lachen drang zu unseren Fenstern herauf.
Sie mussten doch müde sein von dem langen Marsch. Warum schliefen sie nicht?
    Ich war so beunruhigt, dass ich den Palast verließ,
über den Eisenzaun kletterte – was dort, wo das Gebäude an den Westwall des
Hofes grenzt, leicht zu bewerkstelligen ist – und zu den Feuern hinüberging, um
die Weiber zu belauschen und ihre Absichten zu erfahren. Später behaupteten die
Führer der Revolution, es habe sich um ehrbare Pariser Frauen gehandelt. Ich
sage Ihnen, einige waren es, viele nicht. Es befanden sich Straßendirnen und
Taschendiebinnen unter ihnen. Auch Männer – Zuhälter, Diebe und Falschspieler.
Ich kannte sie aus dem Palais Royal.
    Und noch einer war dabei. Einer, der sich lässig – in
einem schlichten grauen Mantel und mit einem tief in die Stirn gezogenen
Dreispitz – unter ihnen bewegte. Über den unteren Teil seines Gesichts hatte er
wie ein Straßenräuber ein Tuch gebunden und er redete nicht von Brot und
Freiheit, sondern von

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