Das Blut der Medusa
anders.«
»Das geht schon in Ordnung, Mädchen.« Die anderen drei Medusen hatten ihre Haltungen entspannt. Sie saßen wieder locker auf den Sofas.
»Was hat sie gehabt?« fragte Mona.
»Sie mag es nicht.«
»Das ist schade. Und du?«
»Es kommt darauf an. Uns ist einiges versprochen worden. So haben wir gehört, daß wir diese Insel oder dieses Paradies nie mehr verlassen sollen.«
»Sagte euch dies der Maler?«
»So ist es.«
»Er hat sich noch nie geirrt.«
»Wir sollen also zu Stein werden?«
»Ja, denn wer die Schönheit sieht, muß dafür leiden.« Mona hob die Schultern. »So ist das nun mal.«
»Was war mit den Besuchern, den jungen Männern? Habt ihr sie auf die Insel gelockt?«
»So ist es.« Mona deutete auf ihre drei Freundinnen. »Wir bleiben ja nicht immer auf der Insel. Manchmal fahren wir ans Festland. Die jungen Männer dort lassen sich sehr schnell von unseren Argumenten überzeugen. Sie können es kaum erwarten, auf die Insel zu kommen, wo wir das Erbe einer Großen angetreten haben.«
»Die Medusa gibt es nicht mehr!«
»Es stimmt. Doch es gibt ihr Blut.«
Mona lachte. »Es schmeckt herrlich, wenn man davon kostet.«
»Wie Vampire — nicht?«
»Das sind wir nicht. Einige Tropfen reichen, und wir erleben den Zauber der Medusa.«
»Dann werden die Menschen zu Stein, wenn ihr sie anschaut?«
Wieder lächelte sie sphinxhaft. »Vielleicht — vielleicht auch nicht. Wichtig ist Flora.«
»Ja, die Göttin der Blumen. Wer von euch ist Flora?«
»Niemand. Sie hält sich verborgen, aber sie ist die echte Erbin der Medusa. Sie hat das Blut gefunden und uns von seiner Wirkung überzeugen können. Manchmal sind wir wie Spinnen. Die Männer gehen freiwillig in unsere Netze, wie ihr beide.«
»Wir werden dein verdammtes Netz durchreißen!« fuhr Clarissa die Dunkelhäutige an. »Du… du wirst keine Chance bekommen, das schwöre ich dir. Mit uns machst du es nicht.«
Mona schaute sie bedauernd an. »Kindchen, sei nicht so vorlaut. Du kennst unsere Stärke nicht. Ich würde euch vorschlagen, daß ihr euch noch einmal umschaut. Wir haben lange keine neuen Statuen mehr in unseren Garten bekommen, und du, Clarissa, wirst die erste Frau in unserer Sammlung sein.«
»Daraus wird nichts. Ich…«
»Nicht doch.« Ich hielt sie zurück. »Keine Panik, Clarissa.«
»Aber du tust nichts.«
Mich ließ ihr Vorwurf kalt. »Hast du den zweiten Spiegel parat?« fragte ich statt dessen.
»Sehr gut. Warte ab, was jetzt geschieht.«
»Das will ich aber nicht. Dann ist es möglicherweise schon zu spät.«
Mona winkte uns zu. Diese Handbewegung war gleichzeitig ein Zeichen für die übrigen drei Frauen. Sie richteten sich wieder auf ihren Sofas auf, um uns anzulächeln.
Auch der Maler mischte sich wieder ein. Seine Stimme erklang aus der Höhe.
Er stand auf einem kleinen Balkon und schaute lachend zu uns hinunter.
»Gleich werdet ihr das Wunder der Medusa erleben. Deshalb seid ihr ja gekommen.«
»Hast du das Blut auch getrunken, de Greco?« rief ich hoch.
»Natürlich, sonst wäre ich tot. Oder wird ein Mensch über einhundertfünfzig Jahre alt?« Er lachte wieder.
Clarissa neben mir bekam eine Gänsehaut. »Das meint er doch nicht ernst, oder?«
»Doch, es stimmt.«
»Ein Zombie…« Sie senkte den Kopf und schüttelte ihn. »Ich… ich werde noch verrückt.«
Auf Clarissa achtete ich nicht, weil die vier Frauen meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen.
Die nymphenartigen Geschöpfe hatten sich erhoben und schauten Mona entgegen. Sie ging sehr zärtlich mit ihren Freundinnen um, hauchte ihnen Küsse auf die Wangen und drehte sich dann zu uns um, Triumph in ihren Augen. »Ihr werdet sehen und spüren!« sprach sie über den Pool hinweg. »Ihr wolltet Flora erleben. Ihretwegen seid ihr gekommen. Ich verspreche euch, daß ihr sie erleben werdet. Sie und ihre Kraft sind überall. Nicht nur in Griechenland, auch weiter nördlich.«
»In Wien?« rief ich fragend.
»Du weißt gut Bescheid.«
»Ich habe es ihm gesagt.« Die Stimme des Malers erklang von der Galerie her.
Mona schüttelte den Kopf. »Du solltest nicht so geschwätzig sein, mein Freund.«
Der Alte schwieg.
Clarissa war noch immer ungeduldig. »Sollen wir denn nicht eingreifen? Es kann sonst zu spät werden.«
»Ich will erst ihr Geheimnis erfahren. Denk an den Spiegel, mehr kann ich dir nicht sagen.«
Jenseits des Pools befand sich ein schmaler Weg. Blumen säumten ihn. Sie wuchsen in großen Kübeln und wurden von
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