Das Blut der Unschuldigen: Thriller
Amtsbruder.
Eigentlich hatte Aguirre nicht lange in Paris bleiben wollen, doch da er gern gewusst hätte, wer die von Arnaud zur Universalerbin eingesetzte Inge Schmid war, fragte er die Polizeibeamten, ob sie sich noch in Paris auf halte.
»Natürlich. Sie muss ja die Nachlassformalitäten regeln.« Man nannte ihm ihre Hoteladresse.
Der Vertreter der Nuntiatur runzelte die Brauen, als er von Aguirres Absicht erfuhr, die Frau aufzusuchen.
»Was wollen Sie von ihr? Professor Arnauds Privatleben geht keinen von uns etwas an.«
»Natürlich nicht. Aber ich würde sie gern kennenlernen. Vielleicht weiß sie, warum er sich entschlossen hat, mir seine Unterlagen zu hinterlassen.«
»Das steht doch sicher in seinem versiegelten Brief.«
Aguirre aber ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen und erklärte: »Ich melde mich. Auf keinen Fall werde ich abreisen, ohne mich von Ihnen verabschiedet zu haben.«
Der Mann am Empfang des bescheidenen Hotels hob verwundert den Blick. Priester pflegten dort nicht zu verkehren. Noch erstaunter war er, als der Besucher nach Frau Schmid fragte.
»Sie haben Glück; sie ist gerade zurückgekommen. Nehmen Sie einen Augenblick Platz, ich melde Sie an.«
Wenige Minuten darauf betrat eine Frau die Hotelhalle und kam mit besorgter Miene auf Aguirre zu. Was konnte ein katholischer Geistlicher von ihr wollen?
»Guten Tag, Sie wünschen?«
»Ich heiße Ignacio Aguirre. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie so überfalle.«
Wortlos und ohne die geringste Spur von Neugier hörte sie zu, während er den Hintergrund seines Besuchs erklärte.
»Haben Sie Professor Arnaud schon lange gekannt?«, wagte er schließlich zu fragen.
»Ja, ziemlich lange.«
Ihre wortkarge Antwort verunsicherte ihn.
»Es tut mir leid … aber ich wüsste gern mehr über ihn. Er hat mir völlig unerwartet wichtige Manuskripte hinterlassen, und ich weiß nicht, warum. Mein Wunsch, Sie kennenzulernen, geht darauf zurück, dass Sie ganz offensichtlich sein Vertrauen genossen haben. Könnten wir nicht irgendwo eine Tasse Kaffee trinken und uns eine Weile unterhalten?«
Sie zögerte kurz und sah ihn dann offen an. »Wie Sie wollen. Allerdings glaube ich nicht, dass ich imstande sein werde, Ihnen viel zu sagen. Ihr Name war mir völlig unbekannt, woran Sie sehen können, dass er mit mir nie über Sie gesprochen hat.«
Sie suchten ein Café auf. Aguirre wählte eine ruhige Ecke, wo sie ungestört reden konnten.
»Ich war bei ihm, als er die Nachricht von der Verwundung seines Sohnes bekam. Ich hatte ihn auf einer zweitägigen Reise zur Burg des Grafen d’Amis begleitet, und als wir zurückkamen, wartete sein Vater auf dem Bahnhof und teilte ihm mit, was geschehen war.«
»Das muss ein entsetzlicher Augenblick für ihn gewesen sein. Und haben Sie ihn danach wiedergesehen?«
»Ja. Das ist aber schon eine Weile her. Ich bin eigens nach Paris gekommen, um mit ihm zu sprechen, weil ich noch einmal zu dieser Burg musste.«
»Vermutlich sollte er Sie begleiten?«
»Das wäre mir am liebsten gewesen. Vor allem aber hatte ich das Bedürfnis, ihm zu sagen, wie nahe mir der Schicksalsschlag ging, der ihn heimgesucht hatte. Ich hatte ihm einen Beileidsbrief geschrieben, aber keine Antwort bekommen.«
»Warum war Ihnen Professor Arnaud so wichtig?«
Diese Frage hatte sich Aguirre selbst wiederholt gestellt, ohne eine Antwort zu finden.
»Das weiß ich nicht. Möglicherweise hängt es mit einem Gespräch zusammen, das wir einmal über Gott und die Kirche geführt haben … Er hat mich beeindruckt, denn er bezeichnete sich als Agnostiker und hatte zugleich einen beneidenswert festen Glauben an die Existenz Gottes. Das hat mich überrascht, und ich hätte das Gespräch gern fortgesetzt.«
»Er hat viel durchgemacht.«
»Ja, ich weiß, auch die Sache mit seiner Frau. Haben Sie sie gekannt?«
Inge Schmid erklärte, auf welche Weise Arnaud und sie einander kennengelernt hatten und wie seither zwischen ihnen ein unsichtbares Band bestanden hatte.
»Bitte entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen jetzt eine sehr persönliche Frage stelle: Was haben Sie in den Jahren getan, deren Ereignisse Sie gerade beschrieben haben?«
»Ich bin Kommunistin und hatte ein Kind von meinem Verlobten, der ebenfalls Kommunist war. Meine Eltern waren beide Nazis und haben sich von mir losgesagt. Das Ehepaar Levi, Miriams Onkel und Tante, hat mir Arbeit gegeben, mir geholfen und mich als Menschen behandelt. Falls Ihre Frage
aber darauf
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