Das Blut der Unschuldigen: Thriller
gegenüber, ohne zu antworten.
»Ich möchte nicht zudringlich sein, sondern lediglich … Nun ja, ich habe das Bedürfnis, Ihnen zu sagen, wie sehr mich Ihr Verlust getroffen hat. Ich habe all die Monate für Sie und Ihren Sohn gebetet.«
Nichts veränderte sich in Arnauds Gesichtsausdruck, und so beschloss Aguirre zu gehen.
»Es tut mir leid, Ihnen mit meiner Anwesenheit eine Last gewesen zu sein. Das war nicht meine Absicht.«
Gerade als er sich zum Gehen wenden wollte, bedeutete ihm Arnaud mit einer Handbewegung, er möge noch einmal Platz nehmen.
»Ich habe nichts zu sagen, weder Ihnen noch sonst jemandem. Das Einzige, worauf ich jetzt noch warte, ist mein Tod. Wenn ich mehr Mut hätte, säße ich schon nicht mehr hier.«
Diese Worte erschütterten Aguirre.
»Ich bin froh, dass Ihnen dieser Mut fehlt«, brachte er schließlich heraus. »Ihr Tod würde nichts besser machen.«
»Ich habe mich bereit erklärt, Sie zu empfangen, weil mich Seine Magnifizenz, der Rektor, darum gebeten hat. Ich werde nicht mehr lange hier sein.«
»Wohin gehen Sie?«
»Fort von hier, dorthin, wo ich auf den Tag meiner Beerdigung warten kann.«
»Sie tragen an nichts von alledem die Schuld.«
»Das also wollten Sie mir sagen? Soweit ich das Rektorat verstanden habe, ging es darum, dass Sie noch einmal zur Burg des Grafen fahren wollten.«
»Das auch. Aber ich versichere Ihnen, dass das nichts mit meinem Wunsch zu tun hat, Sie zu sehen.«
»Was wollen Sie dort?«
»Der französische Geheimdienst hat Beunruhigendes über das Treiben des Grafen erfahren, und die Kirche wüsste gern, ob er mit seiner Suche weitergekommen ist.«
»Ich werde nicht mitfahren.«
»Ich hätte Sie auch nicht darum gebeten.«
»Es ist besser so.«
»Heißt das, dass Ihnen Bruder Juliáns Chronik nichts mehr bedeutet?«
»Es war eine Arbeit wie andere auch.«
»Ich hatte immer den Eindruck, dass es für Sie etwas Besonderes gewesen sei.«
»Das ist vorbei und gehört jetzt der Vergangenheit an. In der Gegenwart ist es mir nicht mehr wichtig. Ich weiß nicht, ob Ihnen schon aufgefallen ist, dass ich tot bin.«
24
Aguirre hoffte, dem Auftrag gewachsen zu sein, den man ihm erteilt hatte. Ihn zu erledigen würde alles andere als einfach sein. Die Vorstellung, andere Menschen täuschen zu müssen, bereitete ihm Unbehagen, außerdem fürchtete er, man könne ihm auf die Schliche kommen. Zwar schien sich Raymond über seinen Anruf gefreut zu haben, doch hatte er bei der Frage, ob er ihn besuchen könne, gezögert und erklärt, darüber müsse er erst mit seinem Vater sprechen. Man hatte ihn schließlich zum Mittagessen eingeladen, woraus sich ergab, dass der Aufenthalt in der Burg nur kurz sein würde.
Als Raymond ihn am Burgtor empfing, wirkte er herzlich, musterte den Besucher aber mit aufmerksamem Blick, als fühle er sich in dessen Anwesenheit nicht recht wohl.
»Ich freue mich, Sie wieder bei uns begrüßen zu dürfen«, sagte er, während er ihm die Hand drückte. »Ihr Anruf hat uns überrascht.«
»Hoffentlich falle ich Ihnen nicht zur Last. Da ich mir im Archiv von Carcassonne einige Dokumente ansehen musste, dachte ich, es sei schön, kurz vorbeizukommen und guten Tag zu sagen. Sie und Ihr Vater haben mich bei meinem ersten Besuch mit Professor Arnaud in äußerst liebenswürdiger Weise empfangen.«
»Ach ja, Professor Arnaud! Es heißt, dass er den Verstand verloren hat.«
Sie schritten ohne bestimmtes Ziel durch die Parkanlage der Burg. Offenbar wussten beide nicht recht, wie sie das Eis brechen sollten.
»Sind Sie mit Ihre Suche weitergekommen?«, fragte Aguirre.
»Was für eine Suche?«
»Die nach dem Gral. Damals haben Sie gesagt, Sie stünden kurz davor, ihn zu finden.«
»Ich hatte Sie gebeten, das vor meinem Vater und seinen Gästen nicht zu erwähnen.«
»Seien Sie unbesorgt! Selbstverständlich werde ich die Sache Ihrem Vater gegenüber mit keiner Silbe ansprechen. Ich habe lediglich aus dem Interesse des Historikers heraus gefragt, weil mir Ihr Vorhaben äußerst bemerkenswert erscheint.«
»Das ist es auch. Unglücklicherweise ist uns bisher der Erfolg versagt geblieben. Es wird noch viel Zeit und Geduld kosten, unser Ziel zu erreichen, aber mein Vater ist sicher, dass es eines Tages so weit sein wird.«
Die Mahlzeit verlief nahezu schweigend. Ganz wie beim ersten Mal zeigte sich der Graf distanziert und abweisend.
Um den Tisch herum saß eine bunt zusammengewürfelte Gruppe. Teils waren es junge Leute in
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