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Das Blut der Unschuldigen: Thriller

Das Blut der Unschuldigen: Thriller

Titel: Das Blut der Unschuldigen: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Navarro , K. Schatzhauser
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übertragen werden. Weder büßen die Kinder für die Fehler ihrer Eltern, noch diese für die ihrer Kinder. Nach geltendem Recht ist jeder für sein Handeln verantwortlich, und niemand sonst. Was den Gehorsam angeht … ich bedaure, dich da enttäuschen zu müssen, aber ich muss weder dir noch einem anderen Menschen gehorchen. Ich achte unseren Vater, ich achte seine Art zu leben, seine Kultur und seine Traditionen. Das aber bedeutet nicht, dass ich all das so, wie es ist, übernehmen müsste. Ich liebe unsere Eltern, und ich liebe auch dich, aber ich bin volljährig und lebe, wie es mir mein Gewissen gebietet.«
    »Allah möge uns vor so großem Irresein bewahren! Wie konnte es nur dahin kommen? Welche Schande für unsere Familie!«
    Laila stand auf und sah den Bruder betrübt an. Sie wollte ihm über das Haar streichen, unterließ es dann aber. Ihr war klar, dass er diese liebevolle Geste zurückweisen würde.
    »Weißt du was, Mohammed? Ich finde es bedauerlich, dass du dich so sehr geändert hast. Ich hatte immer gedacht … du wärest anders, du hättest etwas gelernt, nicht nur als Kind, hier bei uns, sondern auch in Frankfurt. Offen gestanden hat es mich beunruhigt zu hören, dass du nach Pakistan gegangen warst, um dort in einer Medresse zu lernen. Ich habe gebetet, dass du nicht vom rechten Weg abkommst, um deinetwillen, aber auch, weil ich dich nicht verlieren wollte. Leider war meine Hoffnung, man würde dich dort keiner Gehirnwäsche unterziehen, töricht. Jetzt sehe ich, was man mit dir angestellt hat, und glaube mir, ich bin darüber zutiefst unglücklich.«
    »Lass ihn zufrieden, Laila, geh, ruh dich aus«, drängte die Mutter.
    »Nein, ich lege mich noch nicht schlafen. Es ist Freitag, und ich habe mich mit meinen Freundinnen verabredet. Wir wollen noch ausgehen. Ich bleibe nicht lange.«
    Sprachlos sah Mohammed erst sie und dann die Mutter an. Er fühlte sich von der Auseinandersetzung erschöpft und innerlich zerrissen. Sein Gesicht und sein Hals waren gerötet. Es war elf Uhr abends, und wenn er seine Schwester richtig verstanden hatte, stand sie im Begriff auszugehen! War es tatsächlich möglich, dass es sich so verhielt, ohne dass seine Mutter unverzüglich dagegen einschritt?
    Als hätte sie seine Gedanken gelesen, machte die Mutter eine beschwichtigende Handbewegung. »Deine Schwester verlässt das Haus, wann es ihr beliebt. Sie kommt nie besonders spät zurück und weiß, was sich gehört.«
    »Laila geht spätabends allein aus? Gehört sich das für eine
anständige Frau? Und du erlaubst ihr das sogar? Was sagt denn mein Vater dazu? Das kann er doch unmöglich hinnehmen! Er müsste sie umbringen.«
    »Halt den Mund! Wie kannst du so etwas sagen? Sie ist deine Schwester!«
    »Sie ist eine Abtrünnige.«
    »Red keinen Unsinn! Wieso verstehst du nicht? Was glaubst du, wo wir hier leben? Hast du vergessen, dass wir in Spanien sind? Verhalten sich die Frauen in Frankfurt anders? Hier haben wir Rechte, nicht wie früher in unserem Dorf in Marokko, und selbst da fangen die Dinge allmählich an, sich zu ändern. Deine Schwester hat mit manchem Recht, was sie sagt. Die Welt hat sich geändert…«
    »Mutter! Hast du ebenfalls den Verstand verloren?«
    Erneut hieb Mohammed mit der Faust auf den Tisch, woraufhin die Kinder anfingen zu weinen. Sie hatten geschwiegen, aus Furcht, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, jetzt aber war für sie die Spannung in der Atmosphäre unerträglich geworden. Fatima, vom Verhalten ihres Mannes entsetzt, begann die Kinder zu beruhigen, doch er gebot ihr, sie zu Bett zu bringen.
    Sie erhob sich und verließ, an jeder Hand ein Kind, rasch den Raum, bevor er es sich anders überlegte und seine ganze Wut gegen sie und die Kinder richtete. Er wäre nicht der erste Mann, der sich auf diese Weise abreagierte.
    Jetzt standen sich Mutter und Sohn im Wohnzimmer gegenüber. Im Bewusstsein dessen, dass er ihr den schuldigen Respekt nicht versagen würde, hielt sie seinem zornflammenden Blick stand.
    »Lass mich allein.«
    »Erst räume ich den Tisch ab und mache den Abwasch. Du
solltest dich ausruhen und deine Gedanken ordnen. Ich bin eine unwissende Frau, aber ich habe begriffen, dass man aus dir einen anderen Menschen gemacht hat. Ich weiß nicht, ob in Pakistan oder in Frankfurt, und ich weiß auch nicht, wer das getan hat oder warum. Aber ich sehe deinen Augen an, dass du unglücklich bist.«
    »Halt den Mund, Mutter, und lass mich allein.«
    Wortlos verließ sie den Raum

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