Das Blut der Unschuldigen: Thriller
heilige Buch in Pakistan gründlich studiert, wohin er dank Hassans Vermittlung hatte gehen können, um sich dort als guter Rechtgläubiger darauf vorzubereiten, als Krieger Allahs zu kämpfen.
»Du bist eine Frau.«
»Das ist mir bekannt. Es gibt keinen Grund, sich dessen zu schämen, und ich bin sogar stolz darauf. Ich bin nicht mehr als
du, aber auch nicht weniger. Allah hat mir ebenso viel Klugheit mit auf den Lebensweg gegeben wie vielen Männern, vielleicht sogar mehr. Als rechtgläubige Moslemin studiere ich den Koran seit Jahren. Daher weiß ich, dass ich seine Lehre vermitteln und andere zum Gebet anleiten kann.«
Während die Mutter und Fatima die Augen entsetzt aufrissen, schrie Mohammed Laila an: »Du bist ja verrückt!«
»Das sagt Papa auch«, gab sie zurück, ohne die Stimme zu heben. »Aber ich denke, dass ihr euch irrt. Entweder passt sich der Islam dem 21. Jahrhundert an, oder wir werden scheitern.«
»Scheitern? Wer wird scheitern?«
»Wir, die wir uns als Rechtgläubige bezeichnen. Wir können nicht weiterhin den Blick in die Vergangenheit richten. Die Welt ändert sich fortwährend, und es gibt kein Zurück. Andere Religionen haben das, wenn auch widerwillig, eingesehen. Entscheidend sind nicht die Worte, sondern der Geist, der dahintersteht. Ich glaube, dass es einen Gott gibt. Andernfalls hätte das Leben keinen Sinn. Die Menschen haben vom Anfang der Zeiten an gespürt, dass es diesen Gott gibt. Mohammed hat Gott auf seine Weise gedeutet, während Christen und Juden es auf ihre Weise tun. Wir deuten Gott entsprechend der Kultur, in die wir hineingeboren wurden, in der wir uns entwickelt haben, aber Gott ist immer derselbe, und selbstverständlich ist es eine Ungeheuerlichkeit, in seinem Namen zu töten.«
Diese letzten Worte aus dem Mund seiner Schwester trafen ihn wie ein Faustschlag. Sie verurteilte ihn. Wie konnte sie es wagen! Sein Vater hatte immer gesagt, dass dieses Mädchen der Familie noch Ungelegenheiten bereiten würde, und er hatte offenkundig Recht behalten. Laila hatte sich in ein Ungeheuer verwandelt, das Gott lästerte.
»Das reicht jetzt«, machte die Mutter dem Streitgespräch der
Geschwister ein Ende. »Geh in dein Zimmer und ruh dich aus. Du kannst ja später noch mit deinem Bruder über… all das reden.«
»Wieso habt ihr zugelassen, dass sich meine Schwester auf den Weg der Verdammnis begeben hat?«, schrie Mohammed die Mutter an.
»Du wagst es, mich zu beleidigen? Du siehst nicht weiter als bis zu deiner Nasenspitze! Du bist ein armer Mensch, unfähig, selbst zu denken. Wovor hast du denn solche Angst? Etwa vor der Wahrheit?«
»Was für eine Wahrheit? Doch wohl nicht deine? Du trittst die heilige Lehre unseres Propheten in den Schmutz. Das ist eine unerhörte Lästerung.«
»Sogar im Iran, in Ghom, gibt es eine Koranschule für Frauen, und sie wird von einer Frau geleitet, einer mujtahida .«
»Ihr beide seid jetzt ruhig!«, legte sich die Mutter erneut ins Mittel. »Was soll Fatima denken? Sie wird uns alle für verrückt halten.«
»Das Einzige, was sie denken wird, ist, dass meine Schwester Gott lästert und meine Eltern das zulassen«, klagte Mohammed.
Fatima hielt schamvoll den Kopf gesenkt. Zwar war sie von Lailas Auftreten entsetzt, zugleich aber bewunderte sie ihre tapfere Schwägerin, deren Worte ihr, Allah möge ihr verzeihen!, gefallen hatten. Sie hätte gern jene Medresse besucht, um ihr zuzuhören … Aber das würde Mohammed ihr nie im Leben gestatten.
»In Frankfurt hat man mich gewarnt. Jetzt ist mir klar, warum.«
»Was ist mit Frankfurt?«
Die zitternde Stimme seiner Mutter rief Mohammed ins
Bewusstsein, dass er laut gedacht hatte. Mit der Aufforderung, in seinem Hause Ordnung zu schaffen, hatte Hassan offenkundig Mohammeds unbotmäßige Schwester gemeint. Wenn er das Problem nicht innerhalb der Familie löste, würde die islamische Gemeinschaft eingreifen.
»Ich habe ja nicht geahnt, dass mein Ruhm so weit gedrungen ist!«, spottete Laila.
»Ich werde mit unserem Vater über die Sache reden. Aber lass dir gesagt sein, so geht es nicht weiter. Mit deinem Verhalten schadest du nicht nur dir selbst, sondern auch unserer Familie.«
»Du hast kein Recht, über mich zu bestimmen. Ich bin ein freier Mensch, Mohammed, begreif das.«
»Was meinst du mit frei? Du schuldest unserem Vater und mir als deinem Bruder Gehorsam! Deine Ehre ist die Ehre unserer Familie.«
»Meine Ehre, wie du es nennst, gehört mir allein und kann auf niemanden
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