Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Blut der Unschuldigen: Thriller

Das Blut der Unschuldigen: Thriller

Titel: Das Blut der Unschuldigen: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Navarro , K. Schatzhauser
Vom Netzwerk:
Daher setzte sie sich, als sie achtzehn Jahre alt geworden war und im Begriff stand, sich für das Jurastudium einzuschreiben, mit ihm an einen Tisch, um ihm klarzumachen, dass sie keinesfalls das Kopftuch weiterhin tragen werde, weil sie sich als Spanierin fühlte und so bald wie möglich die spanische Staatsangehörigkeit beantragen wollte.
    Der Vater hatte laut über das Unglück geklagt, das es bedeutete, eine Tochter wie sie zu haben, und schließlich gedroht, sie nach Marokko zu schicken und dort mit einem guten Mann zu verheiraten, der ihr diese Flausen austreiben würde. Mohammed hatte dieser Auseinandersetzung teils erschrocken, teils unruhig, doch voll Bewunderung für die Schwester beigewohnt. Der Gedanke, dass man sie nach Marokko schicken könnte, machte ihm große Sorgen.
    Zu jener Zeit hatte er selbst nicht recht gewusst, was gut und was böse war. Er hatte dieselbe Schule besucht wie sie, war mit gleichaltrigen jungen Leuten ausgegangen, und nie war er auf den Gedanke gekommen, Mädchen anders zu behandeln als seine Schulfreunde. Einmal davon abgesehen, hätten die sich das auch gar nicht gefallen lassen, und die Schulleiterin, Doña Piedad, duldete ohnehin keinerlei Machogehabe. Sie war überzeugte Feministin und hätte jeden Ansatz von Diskriminierung zwischen den Geschlechtern im Keim erstickt. Sie hatte Lailas Mutter dazu gebracht, dass die Eltern
ihrer klugen Tochter erlaubten, Abitur zu machen, und ihr auch geholfen, ein Stipendium für die Universität zu bekommen.
    Mohammed hatte stets tiefen Respekt vor der Schulleiterin gehabt, die durch ihr bloßes Eintreten in eine Klasse erreichte, dass alle Kinder still waren. Er konnte sich nicht erinnern, je gehört zu haben, dass sie die Stimme gehoben hätte. Das war nicht nötig; sie strahlte Autorität aus.
    Schließlich hatte sich Laila durchgesetzt und machte seither kein Geheimnis mehr daraus, dass sie ohne Kopftuch auf die Straße ging. Zähneknirschend hatte sich der Vater in die neue Situation gefügt. Laila kleidete sich stets unauffällig, und ihre Röcke bedeckten immer die Knie. Nie trug sie wie andere junge Frauen eng anliegende T-Shirts und auch keine ausgeschnittenen Blusen oder Pullover. Davon abgesehen aber kleidete sie sich genau wie diese. Ihr war bewusst, dass sie eine wichtige Schlacht gegen den Vater gewonnen hatte. Auf keinen Fall aber sollte er sich besiegt fühlen oder gar schamvoll den Blick senken müssen, wenn er sie ansah.
    »Habt ihr schon gegessen?«, erkundigte sich Javier.
    »Ja, und ihr?«, gab Carmen zurück.
    »In dem Fall essen wir hier rasch eine Kleinigkeit, wir haben nämlich Hunger. Anschließend können wir dann woanders hingehen. Was ist denn mit dir los, Laila?«
    Diese Frage Javiers ließ sie erstaunt auffahren. Sie war tief in Gedanken über die Auseinandersetzung mit Mohammed gewesen und hatte kaum auf die anderen geachtet.
    »Sie ist heute etwas sonderbar«, merkte Paula an. »Dabei müsste sie sich freuen, dass ihr Bruder zurückgekommen ist. Kopf hoch, Mädchen.«
    »Mir fehlt nichts. Ich bin nur ein bisschen müde.«
    »Du mutest dir aber auch ziemlich viel zu. Wenn man bedenkt, dass du bei all deiner Arbeit an der Uni und in der Kanzlei noch die Frauen unterrichtest«, sagte Paula.
    »Lass sie doch«, legte sich Carmen ins Mittel. »Jeder hat von Zeit zu Zeit das Recht auf einen schlechten Tag. Passiert euch das etwa nie?«
    »Wie läuft es mit deiner Koranschule?«, erkundigte sich Alberto.
    »Gut. Es kommen immer mehr Frauen. Jetzt sind wir schon fünfzehn. Das ist gar nicht schlecht. Bestimmt werden es noch mehr. Wenn ich bedenke, dass ich am Anfang schon mit viel weniger zufrieden gewesen wäre …«
    »Heute war dieser Widerling wieder da«, sagte Carmen, »der die Frauen immer beschimpft, wenn sie ins Haus gehen. Als ich ihm gesagt hab, dass ich die Polizei rufe, ist er verschwunden. Ein übles Subjekt!«
    Laila biss sich auf die Lippe. Man hatte ihr in der Kanzlei einen Raum zur Verfügung gestellt, den sie als Medresse nutzte. Dort trafen sich die Moslemfrauen, um über den Koran zu reden, zu beten und zu lernen. Überdies half Laila ihnen bei familiären Schwierigkeiten, so weit ihr das möglich war. Manche waren noch sehr jung und mussten sich jedes Stückchen Freiraum gegen den Widerstand ihrer Familie erkämpfen. Da sie in der Schule gelernt hatten, dass alle Menschen gleich sind und gemäß der spanischen Verfassung niemand wegen seines Geschlechts oder seiner Religion diskriminiert

Weitere Kostenlose Bücher