Das Blut der Unschuldigen: Thriller
Weg, und kommen Sie zu mir, sobald Sie in Rom sind. Ich werde mit Ihrem Superior und Provinzial sowie mit dem Ordensgeneral sprechen, damit man Ihnen erlaubt, Ihre selbstgewählte Aufgabe als Gemeindepriester in Bilbao eine Weile zu vernachlässigen.«
Erneut konzentrierte sich Sagardía auf die Papiere, die vor ihm lagen.
Bei Einbruch der Dunkelheit kehrten seine drei Mitbewohner zurück. Nachdem sie gemeinsam zu Abend gegessen hatten, schlug Aguirre vor, man könne vor dem Schlafengehen noch einen Schluck Schlehenlikör trinken.
»Nanu! Ist heute Feiertag?«, erkundigte sich Pater Mikel spöttisch.
»Das nicht. Aber möglicherweise tut es uns gut, uns eine Weile bei einem Gläschen zu unterhalten, bevor wir zu Bett gehen«, gab Aguirre zurück.
»Ein glänzender Gedanke«, pflichtete ihm Pater Santiago bei.
»Ich habe schon seit Jahren keinen Schlehenlikör getrunken«, sagte Sagardía sehnsüchtig.
»Das kommt davon, wenn man fern der Heimat lebt«, gab Mikel Ezquerra zurück und goss die Flüssigkeit in vier winzige Gläser.
Während sie bedächtig daran nippten, hing jeder seinen eigenen Gedanken nach. Schließlich holte Sagardía sie mit den Worten in die Gegenwart zurück: »Morgen breche ich auf.«
»Nanu, wohin denn?«, fragte Pater Mikel.
»Ihr wisst doch, dass ich eine Aufgabe beenden muss, die man mir übertragen hat, bevor ich hergekommen bin. Dabei sind unvorhergesehene Schwierigkeiten aufgetreten. Ich muss nach Rom und Brüssel, werde aber wohl höchstens eine Woche fortbleiben. Ich bedaure das, denn ich sehne mich nach dem Gleichmaß meines neuen Lebens, doch ich habe nun einmal zugesagt, diese Aufgabe zu Ende zu führen.«
Niemand stellte eine weitere Frage. Sie sprachen noch eine Weile über alltägliche Dinge und gingen dann zur Ruhe.
12
Lorenzo Panetta holte Sagardía am Brüsseler Flughafen ab. Das Wetter war unangenehm nass und windig.
Der altgediente Polizeibeamte hatte dem Gedankenaustausch, den der Jesuit von Rom aus telefonisch vorgeschlagen hatte, sogleich zugestimmt. Er wollte sich gern anhören, was
der Priester zu sagen hatte, den man hinter vorgehaltener Hand als »Star« des vatikanischen Geheimdienstes bezeichnete. Panetta fuhr mit Sagardía zum europäischen Koordinationszentrum, das in der Nähe des NATO-Hauptquartiers untergebracht war. Dessen mehrere hundert Mitarbeiter umfassendes Personal, teilte er ihm mit, arbeite eng mit Beamten der Geheimdienste europäischer und außereuropäischer Länder zusammen. Außer ihm, Panetta, sei da auch der Amerikaner Matthew Lucas.
Den Jesuiten beeindruckte die Fülle der dem Zentrum zur Verfügung stehenden technischen Mittel, die ihm der Direktor Hans Wein und dessen Stellvertreter Panetta stolz vorführten.
Als sie sich schließlich im Direktionsbüro zu einer Besprechung zusammenfanden, stießen Matthew Lucas und Andrea Villasante zu ihnen.
»Sind Sie schon zu irgendwelchen Folgerungen gelangt?«, fragte Hans Wein den Priester ohne Umschweife.
»Offen gestanden nein. Ich habe allerlei Spekulationen über die Wörter auf den Papierfetzen angestellt und ein graphologisches Gutachten in Auftrag gegeben – wie vermutlich auch Sie. Man sieht auf den ersten Blick, dass es sich um verschiedene Handschriften handelt. Ich zerbreche mir nach wie vor den Kopf über die Wörter, die weder einzeln noch im Zusammenhang einen Sinn zu ergeben scheinen und zwischen denen sich nicht die geringste Beziehung erkennen lässt.«
»Auch wir sind nicht besonders weit gekommen«, räumte Hans Wein ein. »Es sieht ganz so aus, als ob wir in einer Sackgasse gelandet wären. Wir haben nur eine Hoffnung, nämlich über Karakoz an einen der Köpfe der Gruppe zu gelangen. Das aber wird schwierig sein. Ihre Kommandos arbeiten überwiegend unabhängig voneinander, kennen sich gegenseitig nicht
und entscheiden nach eigenem Gutdünken, wo und wann sie zuschlagen.«
»Es muss aber jemanden im Hintergrund geben, der das alles lenkt«, sagte Lorenzo Panetta.
»Nicht unbedingt«, widersprach Andrea Villasante.
»Gestatten Sie, dass ich Ihnen widerspreche. Meiner festen Überzeugung nach sitzt irgendwo jemand, der die Fäden zieht. Damit will ich nicht bestreiten, dass die Organisation eventuell in unabhängig voneinander arbeitende Zellen gegliedert ist. Trotzdem bin ich sicher, dass hinter den großen Anschlägen ein bestimmtes Motiv steckt und sie nicht zufällig so und nicht anders ausgeführt worden sind.«
»Na ja, wir können nicht immer einer
Weitere Kostenlose Bücher