Das Blut der Unschuldigen: Thriller
ein Geschehen zu urteilen. Sicher würden die Leute in Brüssel in ihm einen überspannten Greis, wenn nicht sogar Schlimmeres, sehen.
»Ich begreife, warum du dich meinen Vermutungen nicht anschließen willst, und es ist auch gut und richtig, dass du das laut sagst. Dennoch fürchte ich, Ovidio, dass ich Recht habe, wie verrückt dir meine Gedanken auch vorkommen mögen. Ich kenne Raymond de la Pallissière und weiß, wessen er fähig ist.«
»Du kennst ihn? Du hast gesagt, dass du ihn einige Male gesehen hast. Wie lange liegt das zurück? Sechzig Jahre?«, gab Pater Ovidio in herausforderndem Ton zurück.
»Du kannst dir weder vorstellen, in welchem Umfeld er aufgewachsen ist, noch, wie sein Vater war. Außerdem bin ich im Besitz aller Papiere, die Professor Arnaud hinterlassen hat – Notizen und Gedanken zu dem, was er auf der Burg gesehen und gehört hat … Nein, ich irre mich nicht.«
Zum ersten Mal fühlte sich der Schüler seinem Lehrmeister überlegen, und so griff er ihn erneut an. »Nie und nimmer würde die Gruppe einem Nichtmoslem vertrauen. Die große Schwierigkeit, an die Leute heranzukommen, besteht ja gerade darin, dass sie niemandem über den Weg trauen. Wozu würden sie außerdem diesen Grafen brauchen? Bisher haben sie ihre Anschläge allein verübt und leider damit Erfolg gehabt. Warum also sich mit einem Außenstehenden verbünden?«
»Ich habe auf keine dieser Fragen eine Antwort, sondern lediglich eine Hypothese. Die aber halte ich für zutreffend, ganz gleich wie abwegig sie dir erscheint.«
»So einfach soll das sein? Im Brüsseler Zentrum zerbrechen sich ich weiß nicht wie viele Leute seit Wochen den Kopf auf der Suche nach einer greifbaren Fährte, und von einem Augenblick auf den nächsten kommst du her und behauptest, dass der Fall gelöst ist und der Graf d’Amis mit der Gruppe im Bunde steht«, sagte Pater Ovidio aufgebracht.
»Ja, ganz genau so. Und weißt du auch, warum die ein Bündnis miteinander geschlossen haben? Weil sie einen Schlag gegen unsere Kirche führen wollen«, erklärte Aguirre, wobei er Sagardía fest in die Augen sah.
»Was für ein Unsinn!«, entfuhr es Pater Domenico.
»Wir sollten keine Zeit mit Wortgefechten vergeuden«, sagte der Bischof. »Wir haben die Aufgabe, den Leuten in Brüssel alles an Angaben zur Verfügung zu stellen, was wir besitzen. Auch mich überrascht Aguirres Hypothese, denn mir will nicht
in den Kopf, welchen Grund die Gruppe dafür hätte, sich mit der Kirche anzulegen, aber…«
Der alte Jesuit sah alle drei gelassen und ohne jeden Anflug von Ärger an und sagte, zum Bischof gewandt: »Sie haben mich gebeten zu kommen, hier bin ich. Es tut mir leid, dass Ihnen meine Schlussfolgerungen nicht zusagen.«
»Das ist es nicht. Es geht nicht darum, was mir zusagt, sondern darum, wie die Dinge wirklich liegen … Ich kann zwar Ihren Gedanken durchaus folgen, sehe mich aber ehrlich gesagt außerstande, zu der soeben von Ihnen vorgetragenen Schlussfolgerung zu gelangen. Mir scheint die Sache nicht so klar zu sein wie Ihnen«, räumte der Bischof ein.
»Sie brauchen sich meinen Folgerungen nicht anzuschließen. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass ich mich irre. Ich hoffe sogar, dass Sie Recht haben. Trotzdem würde ich gern meine Erwägungen in Brüssel vortragen. Man muss damit rechnen, dass mich die Leute da ganz wie Sie auch für einen von der Vergangenheit besessenen Greis halten, der den Kontakt zur Wirklichkeit verloren hat. Von Brüssel werde ich gleich nach Bilbao zurückkehren.«
»Es ist schon spät. Für heute sollten wir die Sache auf sich beruhen lassen. Da Pater Ignacio morgen bereits wieder abreist, würde ich jetzt gern mit ihm essen gehen.«
29
Lorenzo Panetta ließ den neuesten Stand der Dinge Revue passieren. Jedes Mal, wenn er innehielt, nahm er einen kleinen Schluck aus der Kaffeetasse, die er in der Hand hielt.
»Hoffentlich hat uns dieser Jesuit, der den Grafen d’Amis kennt, etwas Handfestes mitzuteilen.«
Hans Wein rieb sich die Augen, und Matthew Lucas musste sich große Mühe geben, nicht zu gähnen. Seit nahezu vierundzwanzig Stunden waren sie pausenlos im Einsatz und verarbeiteten jede Mitteilung, die das Zentrum erreichte, umgehend.
»Sprechen Sie von Pater Ovidio?«, fragte Lucas.
»Nein, von Pater Ignacio. Er ist aber auch Spanier. Soweit ich weiß, hat er viele Jahre hindurch die Analyseabteilung im Vatikan geleitet.«
»Und er kennt also den Grafen d’Amis«, murmelte Lucas.
»So
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