Das Blut der Unschuldigen: Thriller
kam, trank sie unter Salims aufmerksamem Blick den Tee, den der Zimmerservice inzwischen gebracht hatte.
Sie setzte sich hin, ihrer Schwäche bewusst. Sie schämte sich, ihm ihre Hörigkeit so deutlich gezeigt zu haben.
Sie las in seinen Augen, wie sehr er sie verachtete. Nach wie vor begriff sie nicht, wieso ihr Leben mit einem Mal eine so unerwartete Wendung genommen hatte.
Bisher hatte er sie stets ritterlich und rücksichtsvoll behandelt und sie so sehr verwöhnt, dass sie sich wie eine Märchenprinzessin vorgekommen war … Und jetzt war mit einem Schlag ein ganz anderer Salim zum Vorschein gekommen, ein Mann, der ihr Angst machte, auch wenn sie sich sagte, dass sie trotz allem tun würde, was immer er verlangte. Wenn es sein Wunsch war, würde sie das Kopftuch tragen, den Beruf aufgeben und sich auf Lebenszeit im Haus einschließen lassen, um sich ihm zu widmen. Alles, wenn sie ihn nur nicht verlor.
»Hast du Hunger?«, erkundigte er sich.
»Nein.«
»Aber ich. Ich werde etwas essen gehen. Geh auf dein Zimmer. Ich sag dir Bescheid, wenn ich wieder da bin.«
Sie wollte aufbegehren, doch als sie es in seinen Augen gefährlich blitzen sah, senkte sie den Kopf und leerte ihre Tasse.
In ihrem Zimmer legte sie sich hin und wartete, dass er sich meldete. Das Zimmermädchen hatte ihr seidenes Nachthemd bereitgelegt, und sie musste daran denken, mit welcher Vorfreude sie es gekauft, wie sehr sie gehofft hatte, ihm darin zu gefallen. Jetzt erwies es sich als nutzlose Anschaffung. Sie würde nicht damit vor ihm glänzen können und lernen müssen zu tun, was er von ihr wollte.
Ohne den Blick vom Zifferblatt der Uhr zu nehmen, wartete sie voll Ungeduld. Die Zeit dehnte sich endlos. Erst drei Stunden später, als sie schon nicht mehr damit gerechnet hatte, meldete er sich.
Er gebot ihr, nach oben zu kommen. Sie stand auf und ging ins Badezimmer, voll schrecklicher Erwartung dessen, was ihr der Spiegel zeigen würde.
Ihr Gesicht war gerötet und aufgequollen. An einem einzigen Abend schien sie um Jahre gealtert zu sein. Statt der anziehenden, lebhaften Frau, für die sie sich gehalten hatte, sah sie im Spiegel ein verwüstetes Gesicht. Rasch legte sie etwas Make-up auf und zog ihre Brauen nach. Den Lippenstift wagte sie nicht zu benutzen, weil sie nicht wusste, wie der neue Salim, der da mit einem Mal aufgetaucht war, darauf reagieren würde. Sie zog eine frische Bluse an und machte sich dann auf den Weg zu dem Mann, den sie mehr als ihr eigenes Leben liebte.
Er öffnete und bat sie herein. Sie bildete sich ein, er habe ihr zugelächelt.
»Hast du es dir überlegt?«, fragte er.
Sie wusste nicht, was sie antworten sollte, denn sie fürchtete, dass alles, was sie sagen könnte, ihn aufbringen würde, so dass sie ein kaum hörbares »Ja« herausbrachte.
»Das freut mich. Ich hoffe, du verstehst, dass meine Lebensgefährtin kein leichtfertiges Flittchen sein kann. Ich erwarte von dir, dass du weißt, wie sich eine anständige Frau zu benehmen hat, so, als wärest du eine gute Moslemin.«
»Ich tue, was du von mir verlangst. Ich werde dich nicht enttäuschen.«
»Das will ich hoffen … du weißt ja, sonst …«
Sie zitterte, als sie den Anflug von Zorn auf seinen Zügen wahrnahm.
»Du weißt, dass ich alles tue, was du willst«, wiederholte sie.
»Dann ist der Augenblick gekommen, dass du dich an meinem Kampf beteiligst und begreifst, warum ich tue, was ich tue, dass du mein Leiden und meine Träume mit mir teilst und dich opferst, wie ich es tue. Bist du dazu bereit?«
»Ja.«
»Auch wenn es dich das Leben kosten könnte?«
Bei dieser Frage überlief sie ein Schauder, weil ihr klar war, dass er sie ernst meinte. Trotzdem fiel ihr die Antwort nicht schwer, denn sie sagte sich, dass sie ohne ihn nicht würde leben können.
»Mein Leben gehört dir, Salim, das müsstest du eigentlich wissen. Ich habe schon immer getan, was du von mir verlangt hast: meine Vorgesetzten hintergangen, meine Freunde und Bekannten getäuscht, und ich bin bereit, weit mehr als das zu tun, alles, was du verlangst.«
»Leg dich hin«, gebot er und begann sich auszuziehen.
28
Als Ignacio Aguirre Bischof Pelizzolis Büro mit einer prall gefüllten Aktentasche betrat, in der sich unter anderem sein zerlesenes Exemplar von Bruder Juliáns Chronik befand, fing er einen vorwurfsvollen Blick Pater Ovidios auf.
»Man könnte sagen, der Kreis schließt sich«, sagte der Bischof.
»Ja, so sieht es aus. Professor Arnaud war
Weitere Kostenlose Bücher