Das Blut der Unschuldigen: Thriller
verwünschten Burg entgegenstieg.
Wieder verlor er jedes Zeitgefühl. Er wusste nicht, wie lange sie schon unterwegs waren, doch kam es ihm vor, als wäre der Weg deutlich länger als bei früheren Gelegenheiten. Seine Füße schmerzten.
Als Doña María unvermittelt wie ein Geist vor ihm auftauchte, hätte er sie fast nicht wiedererkannt.
Ihr Gesicht war von den Entbehrungen schmal geworden, und ihre matt gewordenen Augen waren violett umrandet. Mit ihrem gesunden Aussehen schien sie auch all ihre einstige Energie eingebüßt zu haben.
Sie begrüßte ihn mit einer liebevollen Umarmung.
»Wir haben nicht viel Zeit«, sagte sie und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, sich neben sie auf einen Felsblock zu setzen.
»Ihr wirkt erschöpft.«
»Das bin ich auch. Eure Katapulte lassen uns keinen Augenblick verschnaufen. Dieser Dämon von Bischof mit seinen teuflischen Maschinen … Lange wird es nicht mehr dauern. Doch nicht über diesen Kampf möchte ich mit dir reden, sondern über meinen Sohn.«
»Fernando? Verzeiht mir, ich habe nichts von ihm gehört.«
»Das habe ich mir gedacht. Du hast nicht gewagt, dich zu erkundigen.«
»Es ist schwer, in Erfahrung zu bringen, was hinter den Mauern einer Komturei geschieht. Die Tempelritter unterstehen ausschließlich dem Papst.«
»Du könntest aber doch hingehen und Fernando besuchen.«
»Euch dürfte bekannt sein, dass die Templer keinen Besuch empfangen dürfen. Es sind Mönche.«
»Nun, wenn du nicht hingehen willst, tue ich es.«
»Ihr! Das könnt Ihr nicht.«
»Selbstverständlich kann ich das. Du musst wissen, dass mich nicht nur die Maschinen deines vom Satan besessenen Bischofs am Schlaf hindern, sondern auch die Sorge um das, was meinem Fernando widerfahren sein könnte. Wenn ihm etwas zugestoßen ist, trage ich die Verantwortung dafür. Es ist eine Sache zu wissen, dass er im Kampf gegen die Sarazenen fallen kann, und eine gänzlich andere zu wissen, dass er in einem Verlies schmachtet. Diese Vorstellung ist mir unerträglich.«
»Einer der Templer, Armand de la Tour, ein Heilkundiger, schien ihm besonders zugeneigt zu sein …«
»Dann nimm mit ihm Verbindung auf. Er soll dir sagen, wie es Fernando geht.«
»Aber das ist nicht möglich.«
»Es muss möglich sein«, beschied sie ihn. »In zwei Wochen werde ich nach dir schicken. Ich denke doch, dass wir noch mindestens zwei Wochen durchhalten werden«, flüsterte sie vor sich hin.
»Ihr wisst nicht, was Ihr da verlangt.«
»Natürlich weiß ich das. Ich möchte mit ruhigem Gewissen sterben, und bis dahin dauert es nicht mehr lange. Du
selbst wirst mich verurteilen und auf den Scheiterhaufen schicken.«
Bedrückt senkte er bei diesen Worten den Kopf. Er konnte die Tränen nicht zurückhalten.
»Weine nicht, mein Sohn. So liegen die Dinge nun einmal. Du hast es vorgezogen, meinen Rat in den Wind zu schlagen, und versteifst dich darauf, jener Kirche zu dienen, die nichts anderes ist als die Große Hure.«
»Es war Euer Wille, dass ich in den Dominikanerorden eintrat.«
»Damals kannte ich die Guten Christen noch nicht.«
»Herrin, Ihr sagt, dass wir an dasselbe glauben wie Ihr, und zugleich behauptet Ihr, wir sehen den Tag, wenn die Nacht anbricht, und die Nacht, wenn der Morgen tagt …«
»Schluss, Julián! Quäl dich nicht länger. Ich verlange nicht, dass du deinem Glauben abschwörst, und ich hätte auch gar nicht die Zeit dafür. Außerdem bist du auf deine Weise selbst ein Ketzer.«
»Gott wird meiner Seele gnädig sein.«
»Das weiß ich nicht«, sagte Doña María. Er merkte nicht, dass es ein bitterer Scherz war.
Der Hirte trat näher und machte Doña María ein Zeichen.
»Ja«, sagte sie. »Die Zeit ist um. Du musst jetzt gehen. Ich werde nach dir schicken, damit du mir Nachrichten von Fernando bringst.«
»Habt Ihr etwas über Teresa gehört?«, erkundigte er sich nicht ohne Nachdruck.
»Ich habe dir bereits mitteilen lassen, dass es ihr gut geht. Matéu, einer der Vollendeten , die sie an Graf Raimonds Hof begleitet haben, ist Ende Januar zurückgekehrt. Seither haben wir nichts mehr erfahren.«
»Einer dieser Männer ist also zurückgekommen?«
»Ja, auch das hatte ich dir bereits gesagt. Wir hatten gehofft, dass er Verstärkung mitbringen würde, doch kam er lediglich mit zwei Kriegern. Péire Rotger de Mirepoix ist der Ansicht, man müsse einen weiteren Versuch unternehmen.«
»Noch einmal den Grafen um Hilfe bitten?«
»Er hat den Burgherrn, Raimon de Perelha,
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