Das Blut der Unschuldigen: Thriller
hatte sich Raimon de Perelha bemüht, ihr das Vorhaben auszureden, doch war er ebenso wie Péire Rotger de Mirepoix damit an ihrer Halsstarrigkeit gescheitert.
»Vielleicht sehen wir einander nicht wieder«, sagte Corba, während sie der Freundin half, die Haube mit dem daran befestigten Schleier aufzusetzen.
»Ich komme wieder, um euer Los zu teilen, wie es sich gehört. Zuvor aber muss ich versuchen, meinen Sohn zu retten.«
»Das ist mir bewusst, und ich verstehe Euch auch, doch solltet Ihr Euch nicht an seinem Schicksal schuldig fühlen.«
»Ihr müsst wissen, dass bei diesem Sohn nichts je so war, wie es hätte sein sollen. Mir war von Anfang an klar, dass er weniger aus Berufung als aus Aufsässigkeit und um mich zu strafen in den Templerorden eingetreten ist. Trotzdem kann ich nicht zulassen, dass er in jener Burg eingekerkert bleibt.«
»Ihr müsst damit rechnen, dass Euch der Komtur nicht empfängt.«
»Er wird mich empfangen, ihm bleibt keine andere Möglichkeit.«
Bewusst hatte Doña María ein schlichtes dunkelblaues Kleid und einen ebensolchen Umhang mit einem Besatz aus Kaninchenfell gewählt. In kostbaren Gewändern aufzutreten schien ihr unangemessen. Das Haar hatte sie im Nacken zusammengefasst und ihre Wangen ein wenig gerötet.
Es war nicht einfach, die belagerte Festung ungesehen zu verlassen. Wieder einmal musste Péire Rotger de Mirepoix auf Krieger des Kreuzzug-Heeres zurückgreifen, die ihm ergeben waren, weil sie aus seiner Heimat stammten. Er gab ihnen zwei Beutel voller Münzen, damit sie ihre Kameraden
ablenkten, während Doña María, die der Bischof Bertrand Martí gesegnet und dem Schutz Gottes anbefohlen hatte, in Begleitung einer Dienerin im Dunkel der Nacht davonritt.
Ohne Pause ritt sie nach Agen. Sie wollte möglichst wenig Zeit verlieren und so bald wie möglich nach Montségur zurückkehren, um sich dort gleich ihren Brüdern und Schwestern in ihr Los zu fügen.
Am Horizont ragte eindrucksvoll die Templerburg von Agen empor. Doña María gebot der Dienerin anzuhalten. Sie wollte sich ein wenig frisch machen und ihre Kleider ordnen, bevor sie als die Dame von Geblüt, die sie war, vor den Komtur trat.
Ihre Ankunft in der Burg rief Staunen hervor. Stolz erklärte sie: »Ich bin Doña María de Aínsa und möchte bei Eurem Komtur, Herrn Yves de Avenaret, vorgelassen werden.«
Ein dienender Bruder bat sie, in einem eiskalten Raum zu warten, der außer einer steinernen Bank keine Sitzgelegenheit enthielt. Sie setzte sich nicht, sondern schritt, angespannt, wie sie war, auf und ab, während sie auf den Komtur wartete.
Als der Mann zurückkam, sah sie auf seinen Zügen sofort, dass er schlechte Nachrichten brachte.
»Er kann Euch nicht empfangen, es tut mir leid.«
»Der Komtur will mich nicht empfangen?«
»Er kann nicht, meine Dame.«
»Dann sagt ihm, dass ich hierbleibe, bis er es kann. Bringt mir Wasser und etwas zu essen. Ich habe keine Eile.«
Der Mann sah sie verblüfft an. Er wusste nicht, was er ihrem entschiedenen Auftreten entgegensetzen konnte.
»Aber Ihr könnt hier nicht bleiben! In einer Templerburg ist die Anwesenheit von Damen nicht erlaubt.«
»Das ist mir bekannt. Ich möchte auch selbst so bald wie
möglich fortgehen, doch zuvor möchte ich mit Eurem Komtur sprechen.«
»Bitte beharrt nicht darauf.«
»Das tue ich nicht. Ihr sollt ihm lediglich mitteilen, dass ich hier auf ihn warte und erst gehen werde, wenn ich mit ihm über eine Angelegenheit gesprochen habe, die außer dem Templerorden auch König Ludwig und den Papst betrifft.«
Beeindruckt von der Nennung der hohen Persönlichkeiten entfernte sich der dienende Bruder.
Als er nach geraumer Zeit zurückkehrte, fand er die Besucherin ebenso vor wie beim ersten Mal – sie schritt nach wie vor unruhig auf und ab.
»Der Komtur wird Euch empfangen.«
Ohne darauf zu antworten, folgte sie ihm mit raschem Schritt. Gelegentlich begegnete ihnen ein Tempelritter, der unauffällig, aber durchaus neugierig, zu ihr hersah.
Yves de Avenaret war ein äußerst schlanker älterer Herr, in dessen tief liegenden grauen Augen sich sein asketischer Geist spiegelte.
Er stand aufrecht neben einem hochlehnigen Sessel. Mit Ausnahme dieses Sessels, eines Tisches, auf dem außer einer Bibel mehrere Pergamentrollen und Schreibmaterial lagen, war der Raum leer. Ein Kamin mit steinerner Umrandung spendete ein wenig Wärme.
Der Komtur sah die Besucherin scharf an, die den Blick nicht senkte. Sofern dieser Mann
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