Das Blut der Unschuldigen: Thriller
glaubte, eine Doña María einschüchtern zu können, hatte er sich in ihr geirrt.
»Sagt, was Ihr zu sagen habt«, forderte er sie mit gebieterischer Stimme auf, ohne sie zum Sitzen einzuladen.
»Ich werde mich kurz fassen. Meine Zeit ist ebenso kostbar wie die Eure. Ihr habt meinen Sohn, Fernando de Aínsa, einkerkern
lassen, obwohl Ihr wisst, dass er sich keines Vergehens schuldig gemacht hat. Er hat lediglich den letzten Willen seiner Mutter erfüllt, die man bald den Flammen des Scheiterhaufens überantworten wird.«
Als er seine Besucherin so freimütig von dem ihr bevorstehenden Geschick sprechen hörte, erschauerte er unwillkürlich.
»Er wäre in der Tat ein schlechter Sohn, wenn er ihr kurz vor ihrem Tode einen solchen Wunsch abgeschlagen hätte. Er wollte das Leben seiner jüngsten Schwester retten und hat das auch getan, als ich ihn dazu gedrängt habe, zwei Diakone unserer Kirche an einen sicheren Ort zu geleiten. Ja, ich habe ihn unter Druck gesetzt: das Leben seiner Schwester gegen das Entkommen der beiden Männer mit unseren kostbarsten Gütern, die dafür sorgen werden, dass Gottes wahres Wort weiterhin verbreitet werden kann. Das ist seine ganze Schuld. Ihr habt ihn äußerst hart bestraft und kein Erbarmen für einen jungen Menschen gezeigt, der seiner Mutter den Gehorsam nicht versagen konnte. Mir ist bekannt, dass Ihr ihn in den Verliesen dieser Burg schmachten lasst, zusammen mit seinen Gefährten, die ohne ihr Zutun in diese Sache verwickelt worden sind. Sie haben sich seinem Vorhaben auf das Heftigste widersetzt, wollten aber verhindern, dass ihn die Belagerer zu fassen bekämen, denn das hätte großes Aufsehen erregt. Würde man nicht in dem Fall Euren Orden verdächtigen, die Flucht der beiden wichtigen Männer unserer Kirche der Guten Christen unterstützt zu haben? Niemand würde glauben, dass ein Templer so handeln würde, ohne zuvor die Zustimmung seines Komturs eingeholt zu haben. Mit großer Umsicht haben seine Ordensbrüder das verhindert, indem sie Fernando in gewissem Abstand gefolgt sind, ohne sich an dem zu beteiligen, was er getan
hat. Das aber war, ich wiederhole es, nichts weiter, als dass er seine Schwester und die beiden Diakone an einen sicheren Ort gebracht hat. Ich erwarte von Euch, dass Ihr ihm Gerechtigkeit widerfahren lasst.«
Aufgebracht sah der Komtur die furchtlose Dame an, die so stolz und hochmütig sprach, als wäre sie die Befehlshaberin eines Heeres, der niemand widerspricht.
Zwar war er über sich selbst verärgert, dass er sie empfangen hatte, doch erkannte er, dass sie imstande war zu erreichen, was sie sich vornahm, und so überlegte er nicht ohne Bangen, welche Folgen es haben könnte, wenn er sich ihrer Forderung verweigerte.
»Ihr verlangt Gerechtigkeit? Was versteht Ihr von Gerechtigkeit? Wie könnt Ihr es wagen, herzukommen und mir zu drohen?«
»Ich soll Euch gedroht haben? Sagt mir, in welchem meiner Worte auch nur der geringste Hinweis auf eine Drohung gelegen hat. Nein, mein Herr, noch habe ich Euch nicht gedroht.«
Der Komtur trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Ihm lag daran, die Unterhaltung mit dieser Frau möglichst bald zu beenden.
»Euer Sohn hat gegen sein Gelübde verstoßen. Wer in unseren Orden eintritt, trennt sich auf alle Zeiten von seinen Angehörigen. Er war ungehorsam und hat uns in Gefahr gebracht. Dafür muss er büßen.«
»Das scheinen mir sehr sonderbare Vorschriften zu sein. Ihr behauptet, Gott zu dienen, und verlangt gleichzeitig von Euren Mönchen, dass sie diejenigen vergessen, die sie lieben, die Mutter, die sie zur Welt gebracht hat, die Geschwister … Wie können sie etwas für ihre Mitmenschen tun, wenn sie der eigenen Familie den Rücken kehren? Ganz gleich wie bedeutend
die neuen Verpflichtungen sind, die jemand eingeht, man kann die Gefühle der Menschen nicht einfach auslöschen und ihre Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Mein Sohn musste mir gehorchen, es gab für ihn keine andere Möglichkeit. Er hat als Sohn und Bruder gehandelt, nicht als Mönch.«
»Es ist sonderbar, Euch so sprechen zu hören, Ihr, eine Ketzerin, die Mann und Kinder verlassen hat.«
Dieser Stich traf Doña María mitten ins Herz, doch unerschrocken setzte sie ihren Kampf fort.
»Weder Ihr seid mein Richter, noch wird es Euer Gott sein, und so sollten wir keine Zeit damit vergeuden, von mir zu sprechen. Ich bin gekommen, Euch Folgendes zu sagen: Sofern Ihr meinen Sohn und seine Ordensbrüder nicht freilasst,
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