Das Blut der Unschuldigen: Thriller
Gefährten? Ihr wäret dort mit Schande bedeckt umgekommen, ohne dass ihr je die geringste Schuld auf euch geladen hattet. Menschen, die fähig sind, zu tun, was man euch angetan hat, sind vom Teufel besessen.«
»Mutter, sagt um Gottes willen so etwas nicht!«
»Menschen, die keinen Zweifel kennen, machen mir Angst.«
»Das gilt doch auch für euch.«
»Was weißt du schon? Manchmal ist es einfach zu spät, einen Weg zu verlassen, den man einmal beschritten hat.«
»Was werdet Ihr tun?«
»Ich kehre nach Montségur zurück. Schon bald muss ich sterben.«
»Flieht! Ihr braucht nicht zurückzukehren, mein Vater wird Euch beschützen.«
»Das kann ich nicht. Damit würde ich ihn nur ins Unglück
stürzen. Außerdem will ich nicht auf meinem Weg umkehren.«
»Wie lange wird sich Montségur halten?«
»Nicht mehr lange. Es wird von Mal zu Mal schwieriger, die Festung zu verlassen und wieder hineinzugelangen, doch hat Matéu noch einmal den Versuch unternommen, Verstärkung zu holen. Beim ersten Mal ist er mit lediglich zwei kampf bereiten Männern zurückgekommen, jetzt warten wir auf seine erneute Rückkehr. Er hat eine Mitteilung geschickt, in der es heißt, zwei Lehnsherren, Bernat d’Alio und Arnaud de So, seien bereit, den Anführer einer Schar aus Aragón namens Corbario dafür zu bezahlen, dass er uns mit einigen seiner Leute zu Hilfe kommt. Seither haben wir nichts mehr gehört. Wir geben uns keinen Täuschungen hin. Graf Raimond wird uns unserem Schicksal überlassen. Er denkt nicht daran, uns Krieger zu schicken oder gar selbst zu kommen. Da ihm klar ist, dass er keine Gnade erwarten darf, wenn er den König noch einmal herausfordert, bringt er lieber sein Leben und einen Teil seiner Besitzungen in Sicherheit.«
»Mutter, sucht Zuflucht unter den Guten Christen, die es hier in der Gegend noch geben muss, aber kehrt nicht dorthin zurück.«
»Mach dir um mich keine Sorgen. Ich habe mein Leben gelebt. Das Einzige, was ich bedauere, ist, dass ich nicht vermocht habe, dir zuteilwerden zu lassen, was du verdienst.«
»Ihr habt mir das Leben gerettet.«
»Das war ich dir schuldig.«
»Nur deshalb?«
»Auch weil ich dich liebe, Fernando. Ich liebe dich von ganzem Herzen, auch wenn ich dir das nicht sagen konnte. Ich war sehr hart gegenüber den Menschen um mich herum, bedaure
aber vor allem, dass ich nicht vermocht habe, dir, meinem Sohn, nahe zu sein. Dafür werde ich mich vor Gott verantworten müssen.«
Fernando nahm ihre Hände, dann umarmte er seine Mutter lange und innig. Er hoffte, dass sie merkte, wie sehr er sie liebte.
Mit schwerfälligen Schritten näherten sich seine Ordensbrüder.
»Wir wollen Euch danken«, sagte Armand de la Tour, der Heilkundige.
»Ich bin es, die Euch zu danken hat. Zugleich bitte ich Euch um Vergebung dafür, dass ich Euer Leben in Gefahr gebracht habe.«
»Ihr seid von bewundernswerter Kühnheit«, versicherte ihr Arthur Bonnard.
»Ich habe getan, was mir mein Gewissen vorgeschrieben hat, denn ich möchte in Frieden sterben. Jetzt zieht dahin. Mein Sohn wird Euch alles erklären. Euer Komtur hat mir geschworen, dass er Euch nicht verfolgen lässt und niemand etwas über das Vorgefallene erfahren wird. Bewahrt auch Ihr Schweigen. Es ist das Beste für uns alle, wenn nicht über die Sache gesprochen wird.«
Die Templer schworen, dass sie die Angelegenheit niemals auch nur mit einer Silbe erwähnen würden, und bemühten sich vergeblich, Doña María von ihrer Rückkehr nach Montségur abzuhalten.
»Wir alle müssen uns unserem Schicksal stellen. Jeder wählt sich das seinige aus, und ich habe mich für diese Art zu sterben entschieden. Ihr aber zieht in Frieden dahin. Gott möge Euch schützen.«
Mutter und Sohn umarmten einander ein letztes Mal. Beiden
liefen die Tränen über die Wangen, ohne dass sie versuchten, sie zurückzuhalten.
»Ich liebe dich, Fernando. Lebe, lebe als der Ritter, der du bist. Der letzte Herr von Aínsa.«
Dann bestieg sie ihr Pferd und strebte, ohne sich noch einmal umzusehen, von ihrer Dienerin gefolgt, im Galopp Montségur entgegen.
12
Am 16. März des Jahres 1244 kündeten laue Lüfte den bevorstehenden Frühling an. Während Bruder Julián leise ein Gebet murmelte, klapperten ihm unwillkürlich die Zähne. Der Staub, der vom Weg aufstieg, zeigte an, dass im nächsten Augenblick der Zug derer sichtbar würde, die sich vor Jahresfrist in die Festung Montségur geflüchtet hatten.
Nach den heftigen Kämpfen der letzten Wochen
Weitere Kostenlose Bücher