Das Blut der Unschuldigen: Thriller
der Priester den Menschen Sand in die Augen, indem er ihnen einredete, er könne den Wein in Jesu Blut und das Brot in dessen Fleisch verwandeln? Was für eine entsetzliche Vorstellung war das, Jesus zu verzehren! War den Leuten überhaupt klar, was das bedeutete?
Im Johannesevangelium hatte er deutlich gesagt: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt«, und »… ihr seid von dieser Welt, ich aber bin nicht von dieser Welt«.
Das einzige Gott wohlgefällige Gebet war das Vaterunser, und es gab nur ein Sakrament, das die Seele zu retten vermochte, nämlich die als Consolament bezeichnete Geisttaufe. Ja, Johannes der Täufer hatte mit Wasser getauft, während Jesus den Menschen die Hände aufgelegt hatte, damit sie den Heiligen Geist empfingen.
Es freute Doña María zu sehen, dass sich viele in ihrer näheren Umgebung entschlossen hatten, diese Geisttaufe zu empfangen. Was für eine widersinnige Vorstellung, sagte sie sich, über einem Kind Wasser auszugießen und zu behaupten, damit sei es getauft. Die Taufe, so lehrte es Bischof Bertrand Martí, war nur bei einem Erwachsenen möglich; ob jemand den Heiligen Geist empfing oder nicht, blieb der Entscheidung eines jeden Einzelnen überlassen.
Sie beendete ihre Briefe und bemühte sich, ihre Gedanken zu ordnen, die hierhin und dorthin gewandert waren, während
sie zusah, wie die angeblichen Gotteskrieger des Kreuzzug-Heeres einen riesigen Scheiterhaufen aufschichteten. Es würde nicht mehr lange dauern, bis auch sie darauf brannte, um von der irdischen Hülle, die der Leib bedeutete, befreit zu werden, so dass sie Gott gegenübertreten konnte.
Der Hirte teilte ihr mit, dass Bruder Ferrer den Tag nicht abwarten konnte, an dem man alle Irrgläubigen dem Feuer übergab, doch werde er sie zuvor in eigener Person befragen. Sie empfand eine gewisse Unruhe. Sie sah in dem grausamen katalanischen Dominikaner, dem jedes Mitgefühl abging, eine Ausgeburt der Hölle. Er hatte im ganzen Lande Scheiterhaufen angezündet, die Kunst des Ketzerverhörs immer weiter verfeinert, die Akten früherer Ketzerprozesse durchforscht, um Ungenauigkeiten zu entdecken, die ihm als Vorwand dazu dienen konnten, jeden ins Feuer zu schicken, den man freigesprochen hatte, weil man nicht über hinreichenden Beweise verfügte. Bruder Julián fürchtete ihn. Jedes Mal, wenn von ihm gesprochen wurde, weiteten sich seine Pupillen, und kalter Schweiß lief ihm über den Rücken. Wessen dieser Mann wohl fähig sein mochte, wenn die Besiegten von Montségur herabkamen?
Schließlich gestand Doña María ihre Befürchtungen Bertrand Martí. War es, fragte sie, möglicherweise selbstsüchtig von ihr gewesen, dass sie ihren Gemahl und ihre Kinder sich selbst überlassen hatte, um ausschließlich ihrem Glauben zu leben?
Trotz aller Versuche, sie zu trösten, gelang es dem Bischof nicht, ihr diese Seelenqual zu nehmen. Fernando hatte ihr verziehen – was aber war mit ihrer Tochter Marta und Juan, ihrem Gemahl? Würden ihre Enkel verstehen, dass sie sich zum Tod in den Flammen entschieden hatte?
Eine andere Vollendete trat zu ihr, um ihr mitzuteilen, dass die Stunde gekommen sei, die Burg zu verlassen. Daraufhin übergab sie einem zuverlässigen Mann die Briefe wie einen kostbaren Schatz. Er versprach, sie weiterzubefördern, und küsste der Frau, die ihnen allen in den bittersten Augenblicken der Belagerung immer wieder Mut gemacht hatte, gerührt die Hand.
Raimon de Perelha gab den Befehl zum Aufbruch. Doña María sah sich suchend nach Péire Rotger de Mirepoix um, der die Krieger bei der ordnungsgemäßen Übergabe der Festung befehligte. Sie wusste, dass ihm de Perelha nahegelegt hatte, sein Leben durch die Flucht zu retten, wozu er ihm einen bestimmten Auftrag erteilt hatte. Außerdem wusste sie, dass zwei Tage zuvor Bischof Bertrand Martí entschieden hatte, dass zwei Vollendete , Amelh Aicart und Huc Petavi, den Versuch unternehmen sollten, fortzuschaffen, was sich noch an Gold und Silber in Montségur befand. Sie hatten den Auftrag, sich unter Führung eines kundigen Gebirgsbewohners von den Steilwänden des Felssporns hinabzulassen und das Waldgebiet aufzusuchen, wo die Männer, die vor nicht allzu langer Zeit Teresa begleitet hatten, den Hauptteil des Schatzes verborgen hatten.
Jener laue Frühlingsmorgen schien alles zum Leben erwecken zu wollen, doch wusste ein großer Teil jener, die Montségur in langem Zug verließen, dass für sie die letzten Stunden ihres Lebens angebrochen
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