Das Blut der Unschuldigen: Thriller
weiß etwas, keiner hat etwas gesehen oder gehört.«
»Und haben Sie sich mit den Bekannten der beiden in Verbindung gesetzt?«
»Das kleine Buch mit den Adressen war nicht mehr da. Ich wusste aber, wo der jüdische Arzt wohnt, und bin hingegangen. Er war ebenfalls verschwunden … und seine Wohnung sah genauso aus wie die hier.«
»Und die anderen Bekannten? Wissen Sie nicht, wo die wohnen?« , schrie Arnaud verzweifelt auf.
»Es hat keinen Zweck, sich aufzuregen. Ich weiß nicht, wo diese Leute wohnen, woher auch? Natürlich habe ich gesucht, ob die Levis irgendwo Adressen oder Telefonnummern notiert hatten, aber ich habe nichts gefunden. Vielleicht haben Sie ja mehr Glück.«
Mit einem Mal fürchtete er, sie verärgert zu haben. Mit ihr verschwände dann das letzte Bindeglied zu Sara und Isaak, die einzige Spur, die ihn zu Miriam führen konnte.
»Tut mir leid, ich wollte Sie nicht anschreien … Mich … mich hat das alles ziemlich mitgenommen … Meine Frau ist hierher zu ihren Verwandten gefahren und seitdem ebenfalls verschwunden.«
»Ihre Frau?«
Er nahm ein Foto heraus und zeigte es ihr.
»Nein, diese Dame habe ich hier nie gesehen …«
»Sie ist am 20. April von Paris abgefahren. Sie hatte versprochen, sich gleich nach ihrer Ankunft zu melden, hat aber nicht angerufen. Die französische Botschaft hat erfolglos versucht, sie zu finden. Ich … ich bin ganz verzweifelt.
»Wir können die Blockwartsfrau fragen, ob sie Ihre Frau gesehen hat, aber ich sage Ihnen jetzt schon, dass das nichts nützen wird. Das ist eine Nazisse, wie sie im Buche steht. Es würde mich gar nicht wundern, wenn sie die beiden selbst ans Messer geliefert hätte und anschließend überall herumerzählt hat, dass sie ins Ausland gehen wollten …«
»Und was ist mit den anderen Mietern hier im Haus?«
»Lauter ältere Leute. Die haben alle selber Angst. Keiner wagt, Mitgefühl mit den Juden zu zeigen. Sie fürchten, man könnte dann annehmen, sie hätten selbst ›unreines Blut‹ …«
»Und Sie, haben Sie denn keine Angst?«
»Ich bin zwar das schwarze Schaf in der Familie, aber ich denke, mir wird nichts passieren. Meine Eltern haben gute Beziehungen. Vater und Onkel sind bei der Polizei und außerdem in der Partei. Auch meine Mutter und meine Tante sind PG, ich meine, Parteigenossinnen … Die wollen zwar nichts von mir wissen, würden mich aber nicht im Stich lassen. Also …«
»Und der Vater Ihres Jungen?«
»Er war Jude und Kommunist. Auch er ist verschwunden. Er hat mich aber nicht sitzenlassen, das weiß ich. Meine Angehörigen sind entsetzt, dass der kleine Günter, ein Mitglied ihrer Familie, jüdisches Blut in den Adern hat. Sie wollen, dass ich mich von ihnen fernhalte, um ihnen keine Schande zu machen.«
»Was glauben Sie, wo sich der Vater Ihres Jungen befindet?«
»Ich weiß nicht. Kann sein, er ist tot, kann sein, dass er von einem Augenblick auf den anderen fliehen musste … Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich habe mit seinen Freunden Verbindung aufgenommen … Die Leute trauen mir nicht, wegen meiner Eltern und meines Onkels. Wie Sie sehen, bin ich überall unerwünscht.«
Sie hatte ihm ihre Geschichte schlicht und unaufgeregt erzählt, als wäre das alles nichts Außergewöhnliches. Er sah sie jetzt mit anderen Augen an, versuchte zu erkennen, ob sich hinter dem harmlosen Äußeren einer unauffälligen, braven jungen Frau nicht möglicherweise etwas anderes verbarg.
»Wovon leben Sie?«
»Ich putze bei einigen der Leute bei mir im Haus. Viel verdiene ich damit nicht. Sie beuten mich aus, weil sie wissen, dass mir nichts anderes übrigbleibt. Ich habe ja niemanden, bei dem ich meinen Günter lassen kann.«
»Und Ihre Mutter?«
»Für die bin ich von vorn bis hinten eine Enttäuschung. Ich bin nicht in der Partei, habe ein uneheliches Kind am Hals, gebe mich mit Kommunisten und Juden ab … sie will mich nicht sehen. Vielleicht hat sie Angst, von mir angesteckt zu werden.«
»Das tut mir leid«, brachte er heraus.
»Von mir haben wir jetzt genug geredet. Was ist mit Ihnen?«
»Ich habe ja schon gesagt, meine Frau ist hergekommen, um nach ihren Verwandten zu sehen, und wir haben nichts von ihr gehört. Wir haben einen Sohn, er heißt David. Sie können sich vorstellen, was er durchmacht.«
Jetzt trat sie mit dem Besen in der Hand in das kleine Badezimmer, um Glasscherben vom Boden zu kehren.
»Das wäre längst nötig gewesen«, entschuldigte sie sich, »aber ich habe nur
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