Das Blut der Unschuldigen: Thriller
Sie gesagt – eine Nazisse?«, fragte er, während sie nach oben gingen.
»Nicht so wie Frau Bruning, aber für Hitler ist sie Feuer und Flamme. Sie sagt, dass er Deutschland wieder groß machen wird. Mir gegenüber ist sie eigentlich ganz freundlich. Ihr verdanke ich es, dass ich für die Leute hier im Haus putzen kann, denn sie hat denen gesagt, dass ich solche Arbeit suche.«
Sie stiegen bis zum Dachgeschoss empor, wo die Mansardenwohnung lag. Von der winzigen Diele führten Türen in die Küche, in einen kleinen Vorraum mit Wasserhahn und Waschbecken und ins Wohnzimmer, von dem aus es in die beiden Schlafräume ging.
»Ich bin hergezogen, als mein Verlobter verschwunden ist, weil die Miete nicht besonders hoch ist. Hier oben gibt es insgesamt vier solche Dachwohnungen. Nebenan wohnt die Frau, der ich die Verbindung zu den Levis verdanke, eine alleinstehende Lehrerin. Sie ist ein guter Mensch und verabscheut, was zur Zeit in Deutschland geschieht. In den beiden anderen Wohnungen leben ein Medizinstudent, den alle Hans rufen, und ein Musiker, der sich seinen Lebensunterhalt als Barpianist verdient. Er und seine Frau sind schon älter, weshalb es ihnen nicht leichtfällt, die vielen Treppen zu steigen. Er leistet sich den Luxus eines Telefons, weil er auch ab und zu Privatschüler hat und manchmal für eilige Auftritte angerufen wird. Wir hier oben sind die Ärmsten im Hause, aber wir halten gute Nachbarschaft. So darf ich das Telefon des Musikers benutzen, wenn es nötig ist, und vielleicht ist er so
freundlich, das auch Ihnen zu gestatten, wenn wir erklären, worum es geht. In den unteren Stockwerken leben Leute mit gutem Einkommen, und die Hausbesitzerin wohnt natürlich in der Beletage.«
Arnaud packte seinen kleinen Koffer aus. Er enthielt außer seinem Waschzeug einen Anzug, einen Pullover, eine Hose zum Wechseln, ein Paar Schuhe sowie Unterwäsche und einige Hemden. Im sauberen und behaglich eingerichteten kleinen Zimmer standen außer einem Bett mit Nachttisch ein Schrank, ein Tisch und mehrere Stühle. So sonderbar es ihm vorkam, dass er jetzt dort war, so wichtig war es ihm, nicht allein zu sein.
In der Tat durfte er telefonieren. Er beeilte sich zu erklären, dass er selbstverständlich für die Gebühren aufkommen werde, und legte gleich einen größeren Schein als Vorauszahlung auf den Tisch.
»Das ist nicht nötig«, erklärte der Musiker unter dem beifälligen Nicken seiner Frau. »Man muss sich ja für das schämen, was hier in unserem Land passiert.« Arnaud war froh, daß er dem Rat von Paul Castres’ Schwager gefolgt war und sich reichlich mit Dollars eingedeckt hatte. Er rief die Schwiegereltern an, um ihnen den Stand der Dinge mitzuteilen, und war froh zu erfahren, dass David gerade nicht im Hause war. Er hatte Angst vor dem Augenblick, da er ihm sagen musste, dass er nach wie vor nichts über seine Mutter herausgebracht hatte. Er erklärte dem Schwiegervater, dass er bei der Haushaltshilfe der beiden Levis untergekommen sei, die ihn bei der Suche nach den Verschwundenen unterstützen wolle. Nach Rückfrage bei den freundlichen Nachbarn gab er den Schwiegereltern die Nummer, damit David anrufen konnte, wenn er zurückkam. Außerdem bat er sie um die Anschriften und Telefonnummern von
Bekannten und Freunden Isaaks und Saras. Vielleicht konnte ihm einer von ihnen einen Hinweis über deren Verbleib geben, und sei dieser noch so unbedeutend.
7
Inge Schmid bereitete ein Omelett zu und machte Tee. Günter bekam sein Fläschchen. Kaum hatte er es geleert, schlief er in den Armen seiner Mutter ein.
»Leider kann ich Ihnen nichts Besseres anbieten«, sagte sie entschuldigend. »Ich habe gerade genug zum Leben.«
»Das Omelett ist sehr gut, und außerdem habe ich keinen großen Hunger. Es war außerordentlich entgegenkommend von Ihnen, mich bei sich aufzunehmen …« Mit diesen Worten nahm er einige Geldscheine aus der Brieftasche und gab sie ihr. »Es ist ja nicht damit getan, dass ich die Miete zahle, Sie haben auch andere Ausgaben, für das Essen und so weiter … Auf gar keinen Fall möchte ich Ihnen zur Last fallen.«
Dankend nahm sie das Geld.
Sie einigten sich darauf, dass er das Zimmer vorerst für eine Woche mietete, denn er war überzeugt, dass dieser Zeitraum genügen werde, etwas über den Verbleib Miriams und der Levis in Erfahrung zu bringen. Mit etwas Glück konnte er sogar alle drei mit zurück nach Frankreich nehmen. Die junge Frau war sicher, dass die Sache alles andere
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