Das Blut der Unsterblichen
lange wie möglich so tun als wäret ihr noch unsere Gäste.“ Mit diesen Worten ergriff er eine kleine Glasphiole, die auf dem Esszimmertisch lag, und reichte sie Marcus. „Ich möchte dir das hier geben. Darin kannst du das Blut deiner Tochter aufbewahren.“
„Ich danke dir, Philippe.“ Marcus nahm die Phiole entgegen, steckte sie in die Innentasche seiner Jacke und folgte Philippe in die Eingangshalle.
Kristina wartete am Fuß der großen Treppe auf ihn. Marcus nahm ihre Hand und führte sie zum Wagen, der seitlich zwischen den Bäumen geparkt war. Es war noch dunkel, doch das Morgengrauen war nicht mehr fern. Wie Diebe in der Nacht verließen sie das Anwesen. Angespannt spähte Kristina in die Dunkelheit, in ständiger Angst, dass ihnen ein plötzlich auftauchendes Fahrzeug den Weg versperren könnte. Doch diesmal erreichten sie die Landstraße ohne Unterbrechungen. Als sie eine halbe Stunde später auf die Autobahn fuhren, atmete sie erleichtert auf. Wenn alles gut ging, würden sie in vier oder fünf Stunden in London sein.
Im Eurotunnel Terminal in Calais, passierten sie die Passkontrolle und fuhren dann in den grauen Waggon des Zuges ein. Kristina war froh, dass sie während der Fahrt im Wagen bleiben durften, denn sie wollte den Kontakt mit Fremden möglichst vermeiden. Sie brachte den Autositz in Liegeposition, schloss die Augen und döste ein paar Minuten vor sich hin. Als sie die Augen kurz öffnete, sah sie, dass Marcus auf die graue Wand draußen starrte und dabei ein überaus besorgtes Gesicht machte.
„Was ist mit dir?“, fragte sie.
„Nichts, ich bin in Gedanken nur noch einmal unseren Plan durchgegangen.“
Kristina runzelte die Stirn. „Du bist besorgt, das sehe ich.“
„Nein, alles wird gut“, beteuerte er, doch er mied ihren Blick.
„Du lügst.“
Er rang sich ein Lächeln ab, erwiderte aber nichts.
Kristina setzte sich auf. „Wir wissen beide, dass der Ausgang unseres Vorhabens mehr als ungewiss ist, doch wir dürfen jetzt nicht die Hoffnung verlieren. Und du musst damit aufhören, mir deine Gedanken vorzuenthalten.“
Marcus stieß einen tiefen Seufzer aus. „Entschuldige, du hast recht. Um ehrlich zu sein, brauche ich Blut. Du hast zwar dafür gesorgt, dass ich mich regenerieren konnte, doch meine alte Kraft ist noch nicht wieder hergestellt. Ich habe Hunger, und der Geruch deines Blutes macht es nicht besser.“
„Dann geh auf die Jagd, bevor du Leila aufsuchst.“
Marcus schüttelte resigniert den Kopf. „Dafür bleibt keine Zeit. Je länger ich zögere, umso gefährlicher wird es.“
Kristina überlegte. „Ich weiß, dass ich dir versprochen habe, es nicht zu tun, aber sollte ich dir vielleicht doch noch mal von meinem Blut geben? Damit du stärker bist?“
„Nein!“, stieß Marcus unnötig heftig hervor.
„Warum nicht?“
„Sobald ich trinke, verfalle ich in einen Blutrausch, den ich kaum kontrollieren kann. Warum willst du das nicht verstehen?“
„Aber sonst trinkst du doch auch von mir“, entgegnete Kristina.
„Das ist etwas anderes. In diesen Augenblicken nähre ich mich nicht, ich koste nur ein paar Tropfen.“
„Na gut, aber vorgestern hast du dich an mir genährt und dich kontrolliert, obwohl du schwer verwundet warst.“
Marcus schnaubte. „Es ist mir ein Rätsel, wie ich das geschafft habe. Noch einmal werde ich dich dieser Gefahr nicht aussetzen, das ist mein letztes Wort.“
Und damit war die Diskussion für ihn beendet.
Fünfunddreißig Minuten später erreichten sie Folkestone. Während Marcus den Wagen auftankte, nutzte Kristina die Gelegenheit, um auf Toilette zu gehen, und sich ein Sandwich und eine Cola zu kaufen.
Glücklicherweise war ihr Englisch um einiges besser als ihr Französisch. Marcus tadelte sie dafür, dass sie die Sachen von ihrem Geld bezahlt hatte, noch dazu zu einem wirklich schlechten Wechselkurs. Kristina warf ihm daraufhin einen abfälligen Blick zu, den er mit einem ergebenen Seufzer quittierte.
Marcus fuhr weiter nach Petersham, einem Dorf südlich von Richmond, wo er die Nacht verbringen wollte. Durch den in der Nähe befindlichen Richmond Park hätte er die Möglichkeit, ein paar Rehe zu jagen, erklärte er. Außerdem sei Richmond nicht weit entfernt.
Sie checkten in einer kleinen, schäbig anmutenden Pension ein.
„Gibt es hier nichts Besseres?“, fragte Kristina zweifelnd, nachdem sie von einem großväterlichen Rezeptionisten einen klobigen Messingschlüssel erhalten hatten.
„Die Pension
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