Das Blut der Unsterblichen
sie sich auf das Bett und trommelte wütend mit den Fäusten auf dem Kissen herum. Was dachten Blanche und Daniel sich nur? Sie hatten kein Recht über sie zu bestimmen. Wovor hatten sie denn solche Angst? Sie hatte keine Ahnung, wo ihre Eltern waren, keine Freunde, kein Geld und niemandem, dem sie vertrauen konnte. Sie konnte nirgendwo hin.
Tian klopfte leise und betrat das Zimmer.
„Ich habe dich nicht hereingebeten“, zischte Leila.
„Ich möchte mir dir reden“, erwiderte er.
„Aber ich nicht mit dir. Haben die Anderen dich geschickt?“
Tian nickte. „Sie sind der Meinung, dass ich einen guten Draht zu dir habe. Ich soll positiv auf dich einwirken.“ Er grinste.
„Was gibt es da zu grinsen?“
„Ich dachte, vielleicht können wir einen heimlichen Ausflug machen“, dabei deutete er auf das Fenster. „Du bist doch jetzt eine Unsterbliche. Ein kleiner Sprung aus dem Fenster dürfte kein Problem mehr darstellen.“
Leila setzte sich auf. „Meinst du das ernst?“
„Na klar. Also, was ist? Wollen wir es wagen?“
Strahlend sprang sie vom Bett. „Du bist genial. Aber können sie uns nicht hören?“
Tian zuckte mit den Schultern. „Na wenn schon, bis sie es merken, sind wir schon weg.“ Mit diesen Worten öffnete er das Fenster, sprang auf das Fensterbrett und war im nächsten Moment auch schon verschwunden. Leila sprang ihm nach und landete geschmeidig im weichen Gras. Sie grinste. Es war so einfach.
Tian rannte vorweg und Leila folgte ihm. Gemeinsam flitzten sie durch die Gärten. Ihre Haare flatterten und peitschten um ihren Kopf herum, der Wind brauste in ihren Ohren. Leichtfüßig sprang sie über Zäune, kletterte an Bäumen empor. Voll unbändiger Energie erprobte sie ihre neuen Fähigkeiten und wurde dabei von einem nie gekannten Glücksgefühl durchströmt. Die Menschen schliefen und bekamen nicht mit, wie zwei junge Unsterbliche durch die Nachbarschaft streiften. Aber selbst wenn sie in der Dunkelheit aus ihren Fenstern gesehen hätten, hätten sie nur einen vorbeihuschenden Schatten erkennen oder ein kurzes Rascheln hören können.
„Das ist fantastisch“, rief Leila, breitete die Arme aus und spürte die entfesselte Kraft ihres Körpers. Sie war stark, sie war frei, die Ewigkeit gehörte ihr. Lachend sprang sie auf Tian zu und umarmte ihn stürmisch. Ohne nachzudenken, drückte sie ihre Lippen auf die Seinen. Tian war zuerst völlig überrumpelt, doch einen Augenblick später legte er die Arme um ihre Taille und erwiderte den Kuss.
Nach einer Weile schob Leila ihn atemlos von sich. „Tut mir leid. Ich bin so euphorisch, dass ich nicht weiß, was ich tue.“
„Kein Problem, ich stehe jederzeit gerne zur Verfügung“, erwiderte er und grinste.
25
„Wir müssen gehen, mein Freund“, sagte Marcus. Er stand mit Philippe im Esszimmer.
Philippe blickte ihn ernst an. „Wenn ihr uns verlassen müsst, dann kann ich euch nicht aufhalten, doch bist du sicher, dass ihr euch nicht noch einen Tag ausruhen wollt?“
Marcus schüttelte den Kopf. „Nein, es ist besser, wenn wir uns so schnell wie möglich auf den Weg machen, bevor die Ältesten die Sucher aussenden. Sie wissen jetzt, wo wir uns aufhalten und ich bezweifle, dass sie ihre Strategie ändern werden.“
„Vielleicht erklären sie sich doch noch bereit, zu verhandeln. Der Verletzte ist zwar noch immer bewusstlos, aber am Leben. Es geht ihm von Stunde zu Stunde besser. Seine Rettung ist doch ein guter Grund, um in diplomatische Verhandlungen zu treten.“
„Die Diplomatie ist mir vorerst egal. Ich will Kristina in Sicherheit wissen und dafür müssen wir in Bewegung bleiben“, erwiderte Marcus.
Philippe nickte. „Ich verstehe. Ich habe erfahren, dass sie Leila zu Blanche Ridwell nach Richmond gebracht haben. Sie ist ein Mitglied des europäischen Ältestenrats. Ich habe sie vor zwanzig Jahren kennengelernt. Sie hat ein zuvorkommendes Wesen und wirkt auf den ersten Blick liberal, doch sollte man sie nicht unterschätzen. So spricht sie sich zum Beispiel grundsätzlich gegen eine Verwandlung aus Liebe aus. Sie liebt die Dramatik eines gebrochenen Herzens, wie sie mir damals gestand.“
„Ich kann also davon ausgehen, dass sie Kristina und mir nicht gerade gewogen sein wird. Umso mehr ist Eile geboten, damit ich Leila finde, bevor die Ältesten unsere Pläne durchschauen. Aus diesem Grund möchte ich dich darum bitten, unsere Abreise vorerst geheim zu halten“, erwiderte Marcus.
„Natürlich, ich werde so
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