Das Blut der Unsterblichen
ein paar Sachen in ihre Reisetasche. Sie war noch nicht ganz fertig, als Pia auch schon vor der Tür stand. Aufgeregt übernahm sie das Packen der restlichen Sachen, während Kristina neben ihr auf dem Bett saß und sich immer wieder vor Schmerz krümmte. Die Wehen kamen in überraschend kurzen Abständen, was sie nervös machte.
„Das reicht schon“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Lass uns endlich ins Krankenhaus fahren.“
Pia gebärdete sich wie ein werdender Vater, was sich negativ auf ihre Fahrweise und auf Kristinas Gemüt auswirkte. Tania wartete vor dem Eingang des Krankenhauses auf sie. Als Mutter von zwei Kindern war sie wesentlich ruhiger und schaffte es, dass Kristina und Pia sich beruhigten.
Die Hebamme, eine ältere, kräftige Frau, die schon unzähligen Babys auf die Welt geholfen hatte, untersuchte sie eingehend.
„Sehr gut“, sagte sie. „Der Muttermund ist schon vier Zentimeter geöffnet. In wenigen Stunden haben Sie es überstanden.“
Furcht überfiel Kristina. Sie würde ein Kind bekommen. Ohne Marcus. Sie würde es alleine großziehen müssen. Die Tragweite dessen war ihr noch gar nicht bewusst geworden. Sie wusste ja nicht einmal, wie sie es verkraften sollte, dass Marcus verschwunden war. Eine weitere Wehe schüttelte ihren Körper. Sie keuchte. Die Schmerzen wurden immer stärker. Während jeder Wehe war sie überzeugt, dass es nicht mehr schlimmer werden konnte und doch schien die Intensität der Schmerzen stetig zuzunehmen.
Irgendwann musste sie plötzlich zur Toilette. Keuchend schob sie sich von dem Untersuchungstisch und versuchte, sich aufzurichten. Der Versuch scheiterte kläglich. Weder war sie in der Lage aufrecht zu stehen, geschweige denn zu gehen. Tania und Pia versuchten gemeinsam, sie zu stützen, doch Kristina sackte kraftlos auf den Untersuchungstisch zurück. Ihr Unterleib fühlte sich an, als würde ihr jemand gewaltsam einen Fußball durch den Bauch nach unten schieben. Ängstlich sah sie die Hebamme an.
„Es ist soweit, Kindchen“, sagte diese. „Bitte so lange pressen, bis ich sage, dass es genug ist, auch wenn Sie das Gefühl haben, dass es Sie zerreist.“
Trotz ihrer Schmerzen bekam Kristina Angst. Sie wollte nicht zerreißen. Sie dachte an Marcus und wie sehr sie sich nach seinen Beistand sehnte.
„Nicht aufhören, Kindchen. Pressen Sie. Feste“, feuerte die Hebamme sie an.
Kristina holte tief Luft und begann zu pressen. Es gab sowieso kein zurück. Seltsamerweise schien es ihr gar nicht mehr so schlimm. Die Wehen waren viel schmerzhafter gewesen. Sie presste, wenn die Hebamme ihr befahl, zu pressen und hielt inne, wenn sie ihr auftrug, nicht mehr zu pressen.
Dann kam sie. Marcus’ Kind, ihr Kind. Ein Mädchen. Tränen kullerten Kristinas Wangen hinab, als die Hebamme das winzige Wesen in ihre Arme legte. Mit zittrigen Fingern streichelte sie den dunklen Haarflaum des Kindes und fühlte Stolz und eine unbekannte Kraft. Marcus war fort und sie wusste nicht, ob er je wiederkommen würde, doch jetzt war dieses wunderbare Kind da, das Kind ihrer Liebe.
„Das ist unser Kind“, flüsterte sie. „Das ist unser kleines Mädchen.“
Sie küsste den Kopf des winzigen Geschöpfs und verspürte den übermenschlichen Drang, es zu beschützen. Im Zweifelsfall würde sie es auch alleine schaffen, davon war sie in diesem Moment überzeugt.
Während der Zeit im Krankenhaus weigerte sie sich, ihre kleine Tochter abzugeben. Sie wollte sie nicht einmal in dem Säuglingsbettchen direkt neben ihrem Bett schlafen lassen, sondern legte sie neben sich auf das Kissen, was die Krankenschwester mit Unmut und einer spitzen Bemerkung über mangelnde Hygiene zur Kenntnis nahm. Kristina fragte sich, was daran unhygienisch sein sollte, nachdem dieses Kind sich doch neun Monate lang in ihrem Bauch befunden hatte.
Sie nannte sie Leila, der hebräische Name für Nacht . Da sie mit Marcus traumhafte Nächte verbracht hatte und er die Dunkelheit so liebte, erschien ihr das passend.
„Leila“, flüsterte sie ihrer Tochter zu und bedeckte ihren Kopf mit zarten Küssen. Die Zeit im Krankenhaus war eine Zeit ganz allein für sie und ihre Tochter, eine Zeit weit entfernt von den Problemen, die Zuhause auf sie warteten.
Sie fürchtete sich vor dem Tag der Entlassung, vor der Einsamkeit ihrer leeren Wohnung, doch er rückte unaufhaltsam näher.
Tania holte sie aus dem Krankenhaus ab und brachte sie nach Hause. Kristina hoffte, dass sie ihr noch
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