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Das Blut der Unsterblichen

Das Blut der Unsterblichen

Titel: Das Blut der Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Saamer-Millman
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blieb.
    Der siebte Tag, der achte Tag, der neunte Tag. Dann endlich der zehnte Tag.
    Sie duschte und schminkte sich und versuchte, das Beste aus ihrem hochschwangeren Äußeren herauszuholen. Ihre Freundinnen waren mittlerweile überzeugt davon, dass Marcus sie verlassen hatte, was sie ihnen nicht einmal verübeln konnte. Sie kannten ihn ja kaum. Er würde mich nie verlassen . Nicht so, niemals !
    Sie rief bei der Fluggesellschaft an und erkundigte sich, wann die Maschine aus New York landen würde. Zur angegebenen Zeit fuhr sie zum Flughafen und reihte sich inmitten der Wartenden ein. Sie betrachtete die Menschen um sich herum, ihre leuchtenden Augen, erwartungsfroh, Blumen in den Händen oder ein Willkommensschild. Alle blickten gespannt zu den Türen. Als diese sich endlich öffneten, war Kristina umringt von Wiedersehensfreude. Familien fielen einander in die Arme, Liebende küssten sich, Kinder lachten, nur die Geschäftsreisenden strebten eilig dem Ausgang zu. Nach und nach leerte sich die Ankunftshalle. Still und einsam stand nur noch Kristina da und starrte auf die geschlossenen Türen. Alle Fluggäste waren angekommen, nur Marcus nicht. Schon füllte sich die Halle erneut, landete die nächste Maschine und entlud ihre menschliche Fracht.
    Kristina kämpfte mit den Tränen und kam sich plötzlich lächerlich vor. Da stand sie, hochschwanger, und wartete auf ihre verlorene Liebe. Plötzlich wollte sie nur noch weg von diesem Ort.
    Der Weg nach Hause verschwamm in einem Nebel aus Fassungslosigkeit und Schmerz. Nun gab es nur noch eine Möglichkeit, die letzte Möglichkeit. Vielleicht war er mit einer anderen Fluglinie geflogen, zu einer anderen Uhrzeit. Vielleicht!
    Zuhause angekommen nahm sie sich einen Stuhl aus der Küche, platzierte ihn vor dem Wohnzimmerfenster, von dem aus sie die Straße gut im Blick hatte, setzte sich und wartete. Er würde kommen. Er musste kommen.
    Sie beobachtete die vorbeifahrenden Autos. Ein Taxi näherte sich, hielt vor dem Haus. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Das alte Ehepaar aus dem zweiten Stock stieg aus. Kristinas Augen füllten sich mit Tränen.
    Die Abenddämmerung brach an. Die Straßenlaternen warfen ihr kaltes Licht im vergeblichen Kampf gegen die Dunkelheit. Die Dunkelheit – sie war schon längst da. Sie senkte sich auf ihr Herz und hüllte es ein. Eine kalte, schwarze Finsternis.
    Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Einundzwanzig Uhr. Sie wartete.
    Zweiundzwanzig Uhr. Dreiundzwanzig Uhr. Mitternacht.
    Sie verspürte weder Hunger noch Durst. Sie saß einfach nur da.
    Ein Uhr. Zwei Uhr. Drei Uhr. Vier Uhr. Das Morgengrauen.
    Eine rote Sonne im Kampf gegen die Nacht und erste Strahlen, die sich durch die Dunkelheit stahlen.
    Der zehnte Tag und die zehnte Nacht waren vergangen und Marcus war nicht zurückgekehrt. Kristina erhob sich ächzend. Von dem stundenlangen Sitzen waren ihre Gelenke ganz steif und schmerzten. Sie schlurfte in das Badezimmer, wusch ihr Gesicht, putzte die Zähne, trank etwas Wasser und legte sich ins Bett. Dort verharrte sie in völliger Regungslosigkeit und starrte an die Decke, unfähig, irgendetwas zu empfinden. Eine tiefe Leere tat sich vor ihr auf. Ein riesiger, schwarzer Schlund, der alles verschlang, was ihr einst wichtig war.
    Irgendwann schlief sie ein und erwachte wenige Stunden später mit Bauchschmerzen. Ächzend quälte sie sich aus dem Bett und schlurfte in die Küche, wo sie sich einen Tee aufbrühte. Da sie vollkommen erschöpft und ausgelaugt war, nahm sie den Tee mit ins Bett und legte sich wieder hin. An Schlaf war jedoch nicht mehr zu denken, denn ein heftiger Schmerz durchzuckte sie, kaum dass sie die Bettdecke über ihren Körper gebreitet hatte.
    Während der gesamten Schwangerschaft hatte sie sich gefragt, wie sich Wehen wohl anfühlen würden und ob sie überhaupt bemerken würde, dass es sich um Wehen handelte.
    Sie merkte es.
    So schnell wie möglich stand sie auf und lief gekrümmt Richtung Toilette. Auf dem Weg platzte ihre Fruchtblase. Die Flüssigkeit durchweichte die Schlafanzughose und tropfte auf den Fußboden. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Ein letztes Mal wählte sie Marcus’ Telefonnummer. Der Anrufbeantworter sprang an, doch da sie das Band vollgesprochen hatte, konnte sie keine Nachricht mehr hinterlassen. Mit zitternden Fingern wählte sie Pias Telefonnummer. Anschließend rief sie Tania an, die, wie Pia, angeboten hatte, ihr während der Entbindung beizustehen.
    Sie duschte hastig, zog sich an und warf

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