Das Blut der Unsterblichen
beschloss, seinen Koffer in ihren Wagen zu laden. Als er in die Wohnung zurückkehrte, war sie wach und blickte ihm lächelnd entgegen. Bei dem Anblick verspürte er plötzlich den dringenden Wunsch, so schnell wie möglich aufzubrechen.
Die Fahrt zum Flughafen verging in rasender Geschwindigkeit und das, obwohl Kristina, zumindest für Marcus’ Verhältnisse, im Schneckentempo fuhr. Regungslos saß er auf dem Beifahrersitz und starrte aus dem Fenster. Kristina nahm seine Hand und strich mit dem Daumen über seinen Handrücken. Er versuchte, die zärtliche Geste zu ignorieren, doch die Berührung rüttelte an seiner Selbstbeherrschung. Als er es nicht mehr aushielt, löste er seine Hand aus ihrer und fingerte am Anschnallgurt herum.
Kristina fuhr in die Tiefgarage und parkte den Wagen. Während sie die Wegweiser studierte, lud er den Koffer aus. Anschließend folgten sie der Beschilderung zum Abflugterminal.
Vor der Sicherheitsschleuse stellte er sein Handgepäck ab und zwang sich, sie anzusehen. Der Moment des endgültigen Abschieds war gekommen. Er zog sie an sich, küsste sie fest, fast brutal und riss sich dann mit einem Ruck von ihr los. „Leb wohl“, stieß er gepresst hervor.
„Bis in zehn Tagen“, erwiderte sie.
Er ballte die Hände zu Fäusten, so fest, dass sich seine Fingernägel in die Handflächen bohrten. Abrupt drehte er sich um und überwand die wenigen Meter bis zur Sicherheitsschleuse. Er blickte nicht zurück. Erst als seine Tasche durch den Scanner gelaufen war und er die Schleuse passiert hatte, sah er sich ein letztes Mal nach ihr um.
Die Welt um ihn herum wurde still, verblasste zu grauem Dunst. Seine gesamte Wahrnehmung richtete sich auf Kristina, die inmitten der umherhastenden Menschen stand und ihre Hand zu einem letzten Gruß erhob, ein Lächeln im Gesicht.
Ich liebe dich . Ihre Lippen formten die Worte lautlos. Marcus starrte sie mit versteinerter Miene an, unfähig, sich zu rühren.
Plötzlich ließ sie den Arm sinken. Ihre Augen umwölkten sich. Schnell formte er ebenfalls ein lautloses ich liebe dich und zwang seinen Mund zu einem Lächeln. Dann wandte er sich ab und ging.
9
Die Stunden tröpfelten dahin wie zähflüssiger Brei, während Kristina nervös in ihrer Wohnung umherlief. Immer wieder starrte sie auf das Telefon, als könne sie es mit purer Willenskraft zum Klingeln bringen.
Doch es klingelte nicht. Es blieb stumm.
Geistesabwesend strich sie über ihren Bauch. Ruf an , dachte sie. Warum dauert das denn so lange ? Typisch für Marcus wäre gewesen, sie sofort nach der Landung anzurufen. Mittlerweile müsste er doch in New York angekommen sein.
Ein Blick zur Uhr verriet ihr, dass es eigentlich an der Zeit war, ins Bett zu gehen. Sie war müde und erschöpft, doch die innere Anspannung hielt sie fest im Griff. Erst weit nach Mitternacht sank sie auf ihr Bett und fiel in einen unruhigen Schlaf.
Der nächste Morgen brach mit Vogelgezwitscher und Sonnenschein an. Wie zum Hohn für ihren Kummer versprach der Tag, heiß und strahlend zu werden. Marcus hatte noch immer nicht angerufen. Irgendetwas stimmte nicht. Etwas war geschehen.
Mit fahrigen Fingern wählte sie Pias Nummer. Es dauerte lange, bis ihre Freundin endlich abhob.
„Pia? Hi, hier ist Kristina.“
„Was ist los? Wieso rufst du so früh an?“ Pias Stimme klang verschlafen. Offensichtlich hatte sie ihre Freundin geweckt, was ihr im Moment jedoch egal war. Sie musste unbedingt mit jemandem über ihre Ängste reden.
„Marcus hat noch nicht angerufen. Ich habe ihn gestern zum Flughafen gebracht und er hat sich noch nicht bei mir gemeldet. Das macht er sonst nie. Ich habe ein ganz schreckliches Gefühl.“
Es gelang ihr kaum, den hysterischen Unterton in ihrer Stimme zu verbergen.
„Meine Güte, Kristina, beruhige dich. Vielleicht ist ihm etwas Wichtiges dazwischen gekommen. Vielleicht gab es eine Zwischenlandung oder …“
„Es gab keine Zwischenlandung.“
„Okay“, lenkte Pia ein. „Ich habe keine Ahnung, was der Grund sein könnte, aber er wird sich bestimmt bald melden. Denk auch mal an die Zeitverschiebung. In New York ist es mitten in der Nacht. Sicher schläft er jetzt und wollte dich zuvor nicht wecken, weil du schwanger bist.“
Das fand Kristina einleuchtend, zwar untypisch für Marcus, der sie normalerweise zu jeder Tages und Nachtzeit anrief, aber zumindest entbehrte diese Erklärung nicht einer gewissen Logik.
„Du hast recht, das wird es sein. Tut mir leid, dass ich
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