Das Blut der Unsterblichen
eine Weile Gesellschaft leisten würde, doch Tania musste ihre Kinder abholen, versprach aber, später noch einmal vorbeizuschauen.
Nachdem ihre Freundin gegangen war, stand sie unschlüssig im Flur und sah sich um. Still und verlassen wirkte die Wohnung, leblos. Keine Ecke, die Trost oder Wärme versprach. Sie beschloss, sich in den Schaukelstuhl zu setzen, den sie mit Marcus auf einem Flohmarkt gekauft hatte.
„Darin kann ich wunderbar stillen und unser Baby in den Schlaf wiegen“, hatte sie ihm erklärt, als er Bedenken wegen des gebrauchten Zustands geäußert hatte.
Schnell verdrängte sie diese schmerzhafte Erinnerung, setzte sich in den Schaukelstuhl und stillte Leila. Anschließend hielt sie ihre Tochter in den Armen und schaukelte summend hin und her. Das Wippen beruhigte sie.
Lautes Klingeln riss sie aus ihrer Selbstversunkenheit. Erschrocken hob sie den Telefonhörer ab.
„Hallo?“
„Miss Zeisler?“
„Ja?“ Kristina stutzte, die Stimme war ihr völlig unbekannt.
„Kristina Zeisler?“
„Ja, wer spricht da?“
„Mein Name ist Philippe de Montinier. Ich bin froh, Sie endlich zu erreichen.“ Der Unbekannte hatte einen französischen Akzent.
„Ich bin gerade erst nach Hause gekommen. Um was geht es denn?“ Ihr Herz begann, aufgeregt zu pochen.
„Verzeihen Sie die Störung, Miss Zeisler. Wir haben Ihre Telefonnummer in den Unterlagen von Marcus del Casals gefunden, und da wir noch keine lebenden Angehörigen ausfindig machen konnten, rufen wir alle Telefonnummern an, die er bei sich trug. Da ich der deutschen Sprache mächtig bin, wurde ich beauftragt, Sie anzurufen.“
In Kristinas Ohren begann es, zu rauschen. „Was ist mit ihm? Ist ihm etwas zugestoßen?“
„Es tut mir leid, Miss, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Marcus del Casals verstorben ist.“
„Nein!“, stieß Kristina hervor. „Das kann nicht sein. Was reden Sie da?“ Ihre Stimme nahm einen hohen, hysterischen Klang an.
„In welchem Verhältnis standen Sie zu Herrn Casals?“, fragte der Mann.
„Ich bin seine … Verlobte. Bitte ... sagen Sie mir, was passiert ist. Ich …“, ihre Stimme überschlug sich, sie rang nach Luft.
„Er fuhr mit einem Taxi vom Kennedy Airport Richtung Innenstadt. Es gab einen schweren Unfall. Die Ärzte haben zwei Tage um sein Leben gekämpft, doch schließlich erlag er seinen schweren inneren Verletzungen.“
„Was?“ Alles verschwamm vor Kristinas Augen. Marcus war tot? Gestorben? Bei einem Autounfall? Unmöglich!
Die Welt um sie herum schrumpfte auf die Größe des Telefonhörers. Panik und Fassungslosigkeit schnürten ihr die Kehle zu.
„Bitte … geben Sie mir ihre Telefonnummer … ich … ich kann nichts mehr sagen … ich werde Sie zurückrufen.“
„Natürlich. Haben Sie etwas zu schreiben, Miss Zeisler?“
„Was?“
„Haben Sie etwas zu schreiben zur Hand? Ich gebe Ihnen meine direkte Durchwahl.“
Telefonnummer. Aufschreiben. Zettel. Nur mit Mühe gelang es ihr, ihre Gedanken mit einer Handlung zu koordinieren. Vorsichtig legte sie Leila in die Babyschale und griff nach einem Stapel Zettel auf dem Wohnzimmertisch. Vor Aufregung ließ sie die Hälfte fallen. Wie winzige Leichentücher segelten sie zu Boden. Sie nahm einen Kugelschreiber zur Hand und setzte sich wieder in den Schaukelstuhl.
„Ja?“, sagte sie nur.
Der Mann diktierte die Telefonnummer. Das Zittern in ihren Händen machte eine leserliche Schrift fast unmöglich, trotzdem schaffte sie es irgendwie, die Ziffernfolge auf den Zettel zu bannen. Nachdem sie aufgelegt hatte, saß sie minutenlang da und starrte auf die krakelige Zahlenreihe. Marcus war tot? Ihr Verstand weigerte sich, diese Tatsache zu akzeptieren oder auch nur in Erwägung zu ziehen, dass er aufgrund eines Autounfalls gestorben sein könnte, den er nicht einmal selbst verursacht hatte.
Die Ärzte haben zwei Tage um sein Leben gekämpft . Wie ein Echo hallten die Worte in ihrem Kopf wider. Um sein Leben gekämpft, seinen schweren inneren Verletzungen erlegen, um sein Leben gekämpft …
Ihr war schwindlig und schlecht. Mit dem plötzlichen Gefühl, sich übergeben zu müssen, stürzte sie in das Badezimmer und beugte sich keuchend über das Waschbecken, bis sich die Übelkeit legte. Anschließend spritzte sie sich kaltes Wasser ins Gesicht, kehrte in das Wohnzimmer zurück und wählte die Nummer, die der Mann ihr gegeben hatte. Er hob sofort den Hörer ab.
„Philippe de Montinier.“
„Herr Montinier, hier ist noch
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