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Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Titel: Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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und setzte sich zu dem Kinde auf die Bettstatt. Wakiya hielt die Lider gesenkt.
    »Was hast du heute getan, kleiner Bub?«
    Wakiya schaute auf die Mutter, und als diese ein Zeichen gab, daß er antworten sollte, antwortete er:
    »Ich habe Wasser geholt.«
    »Wann bist du weggegangen?«
    »Als die Sonne über die Hügel kam.«
    »Wo hast du das Wasser geholt?«
    »Am Wasser, das langsam fließt.«
    »Wann bist du heimgekommen?«
    »Als die Sonne wieder zu den Hügeln herabstieg.«
    Der große Mann sah die Mutter an und leuchtete ihr in das Gesicht.
    »Du hast Fleisch geholt?«
    »Ja.«
    »Wann bist du weggegangen?«
    »Als die Sonnenstrahlen über die Hügelkämme gekommen sind.« »Wann bist du heimgekommen?« »Als die Amsel zum Abend sang.« »Die kleinen Kinder waren allein?«
    »Ja.«
    »Wem bist du begegnet, als du über die Prärie gingst?«
    Die Mutter zuckte die Achseln. »Keinem Menschen bis zur Straße.«
    »Auf der Straße?«
    »Fuhren zwei Autos.«
    Der große Mann rief den kleinen herein. »Die Mutter und der älteste Junge waren den ganzen Tag weg.« Er leuchtete die Pfanne an, in der das Fleisch gebraten worden war; das Bratfett war noch frisch.
    »War in deiner Blockhütte etwas verändert, als du wiederkamst?«
    Die Mutter zuckte wieder die Achseln. »Die Kinder haben gespielt.«
    Der große Mann blies ein wenig Luft durch die Lippen.
    »Komm, wir gehen. Hier ist nichts zu finden.«
    Er ging mit dem kleineren zusammen weg. Wakiya huschte von seinem Lager zu der Türöffnung und schaute ihnen nach. Es war leicht, den Weg des Lichtes zu verfolgen. Er führte zu einem kurzen, gedrungenen Wagen, der hoch auf vier großen Rädern stand. Wakiya sah diesen Wagen erst jetzt, als das Licht ihn traf. Die beiden Männer stiegen ein und schlugen die Tür zu. Der Wagen fauchte und knurrte, als ob er zornig sei, daß er laufen sollte, dann rollte er über die harterdigen, staubenden Wiesen und verschwand zwischen den Hügeln.
    Wakiya wunderte sich, daß er den Wagen nicht hatte kommen hören, aber er hatte wohl tief geschlafen. Sehr tief und sehr ruhig hatte er geschlafen in der Nacht nach dem Tage, an dem er Wasser geholt hatte und den verlorenen Augen begegnet war, bis die Männer, die weder rechte Menschen noch rechte Geister waren, ihn geweckt hatten. Mit diesen zwiespältigen Wesen konnte er nur schwer zurechtkommen, und er fürchtete sich davor, von ihnen zu träumen. Er wußte aber nun, was ein richtiges Auto war, in dem Geister über die Wiesen und die platte Schlange rollen konnten. Das kleine rote allerdings hatte ihm besser gefallen; es hatte eine schönere Farbe und war schlanker.
    Die Mutter legte den Rock ab und schlüpfte wieder zu den Kindern unter die Decken, um weiterzuschlafen. Sie mochte aber merken, daß Wakiya nicht einschlafen konnte, denn sie antwortete ihm, obgleich er nichts gefragt hatte.
    »Das waren Polizeimänner, Kind, und sie suchen wieder einmal den Inya-he-yukan.«
    Wakiya-knaskiya wiederholte leise wie ein Windhauch »Inya-he-yukan«, als ob ihm hier ein großes, schweres Wort voll geheimer Wunder begegnete. Inya-he-yukan - Stein hat Hörner - Stein, gewiß so weiß wie die Felsen über dem Grabe des großen Häuptlings, Hörner, so stark wie der Büffel, der die gierigen Wölfe hoch in die Luft schleudern und Reiter und Pferd töten konnte. Als Wakiya den Namen aussprach, schaute er dabei im Dunkeln die Augen, die er wiedergefunden hatte. Diese Männer aber, die hier gewesen waren, mit festen Röcken, hartgeschnallten Gürteln und barschen Stimmen, sie konnten solchen Augen nie begegnen, mochten sie auch mit ihrem Licht durch die Nacht stechen und suchen. So dachte Wakiya-knaskiya, und dann schlummerte er ein und träumte von seinem unbekannten Bruder, der ihn und den Eimer mit Wasser getragen hatte.
    Der Sommer ging zu Ende. Der Tag, an dem Wakiya-knaskiya zur Schule gehen mußte, stand bevor. Wakiya saß jetzt oft in seinem Versteck und schaute über das Land. Die Luft war mild, aber auch der sachteste Wind wirbelte Staub aus der rissigen Erde auf. Vertrocknete Krautstiele tanzten mit den Winden, blätterlos, bleich wie Gebein erstorbenen Lebens. Die Laubbäume warfen die ersten Blätter ab, die Kiefernzapfen reiften.
    »Morgen nehme ich dich mit. Du mußt dir die Haare schneiden lassen.«
    Wakiya hörte die Worte der Mutter. Er hatte auf diese argen Worte gewartet, und doch vermochte er nicht, sie zu glauben. Er lief hinaus und versteckte sich wieder. Weinen konnte er nicht.

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