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Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Titel: Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Er saß vom Morgen bis zum Abend zwischen Gras und Gesträuch an dem Platz, den er besonders liebte, und dachte nach. Hin und wieder strich er über sein eigenes Haar, langes, dichtes, glänzend schwarzes Haar, wie es einst der Stolz der Häuptlinge und Krieger gewesen war. Die Sonne hatte Strahlen; wer wollte sie abschneiden und ein stumpfes Gestirn am Himmel stehenlassen? So war es mit den Haaren des Menschen. Aber die Geister waren die Feinde der Menschen und wollten ihnen allen die Strahlenhaare rauben, damit sie den Häuptlingen und Toten nicht mehr gleichsahen und den Geistern unterliegen mußten. Die Sonne wurde müde und schwand dahin. Wakiya-knaskiya ging nach Hause. Er hatte keinen Gedanken gefunden, der ihn trösten konnte. Wenn nur der Vater noch lebte! Er hatte seine Haare lang getragen; die schwarzen Zöpfe waren sein Stolz gewesen.
    Die Mutter sagte kein Wort darüber, daß Wakiya so spät heimkam. Sie briet die Mehlklößchen noch einmal auf. Das Kind aß, gehorsam, aber ohne Lust.
    Nachts wälzte sich Wakiya auf dem Lager, und der Schweiß brach ihm aus. Durch die Türöffnung fiel ein Streifen des Mondlichts schräg herein. Bruder Mond war freundlich, doch konnte er Wakiya nicht gegen die Geister beschützen. Wakiya-knaskiya bäumte sich auf. Er mochte nicht besiegt sein. Aber die Geister wollten den Menschen besiegt sehen, darum schnitten sie ihm die Haare ab. Vor der Sonne und aller Augen sollte es kund werden, daß die Menschen besiegt waren. Besiegt sein tat weh. Es konnte die Kraft fortnehmen und die Träume verscheuchen. Schal konnte es machen, trocken und welk, wie die Krautstengel waren, die in den Winden umhertorkelten.
    Wakiya-knaskiya sehnte sich nach seiner Krankheit, während er des Morgens neben der Mutter herlief, die dünnen Beine schlenkernd. Wenn sein Geist kam und ihn zerrte und niederwarf, so brauchte Wakiya-knaskiya vielleicht nicht zu dem Mann zu gehen, der ihm die Haare abschneiden wollte.
    Aber der Geist huschte durch das Gras und kicherte zwischen den Kiefernnadeln. Er freute sich wohl, daß Wakiya nun ganz unterlegen war und seine Strahlen verlieren würde.
    Als es Mittag wurde und die Mutter den kleinen Buben auf der Straße in die Agentursiedlung führte, schlug Wakiya die Augen nieder.
    Er mochte nicht die hellen Häuser mit den blinkenden Fenstern, nicht die Blumen in den Gärten und nicht das volle Laub der Bäume sehen, nicht die glitzernden Tropfen reinen Wassers, die wie ein Wunder aus dem gelben Maule einer schwarzen Schlange über grünes Gras sprühten.
    Wakiya schämte sich bitter. Um seinen mageren Kinderkörper schaukelte an verkürzten Trägern die Hose, die ihm auch jetzt noch viel zu weit war. Die Schulterblätter standen eckig aus seinem Rücken hervor. Seine Füße waren schlaff geworden, seine Schritte wurden klein und kleiner. Die Mutter packte ihn fest an der Hand und drängte ihn durch eine schlotternde Tür in ein Holzhaus, das einmal weiß gestrichen worden war. Aber unter Hitze, Kälte und Nässe hatte die Farbe abzublättern begonnen.
    Wakiya-knaskiya schaute sich unter halbgesenkten Lidern um, wie wohl einst ein Krieger getan hatte, den die Feinde gefangennahmen. An der Wand standen ein paar alte Stühle; dort saßen zwei Männer in buntkarierten offenen Hemden, mit ausgewaschenen Blue Jeans, mit schlechten Schuhen angetan. Buschig wuchsen ihnen die schwarzen Haare auf dem Kopf. Ein dritter saß mitten im Raum auf einem einzigen Stuhl, um die Schultern lag ihm ein weißes Tuch, und auf das Tuch fielen seine schwarzen Haare. Wakiya vernahm das Klappern der scharfen Schere.
    Noch blieb irgendeine Zeit, in der irgend etwas geschehen konnte, ehe auch Wakiyas schwarze Strahlen kraftlos auf ein weißes Tuch fallen würden. Was hatte einst ein Krieger wie Wakiyas Großvater getan, wenn die Feinde ihm den Skalp rauben wollten?
    Die Mutter setzte sich auf einen der freien Stühle an der Wand und winkte ihrem Buben. Stumm setzte sich das Kind neben sie, und die nackten Füße hingen herab, ohne sich zu bewegen. Mit den Händen stützte es sich rechts und links auf die Stuhlkanten, beugte den Nacken und schaute zur Erde. Es hatte gesehen, daß der Mann mit der Schere lächelte. Lächeln war Hohn. Auch der Mann mit der Schere war ein Mensch, aber er stand im Dienste der Geister wie die Männer mit den festen Röcken und den hartgeschnallten Gürteln, die die Augen des Donnervogels gestohlen hatten und sie aus ihrer Hand durch die Finsternis blitzen ließen.

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