Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
gewordenen Eimer. Das war auch eines der Dinge, die Wakiya fürchtete: einen Eimer voll Wasser den langen Weg heim schleppen. Er hatte der Mutter noch nie gesagt, wie schwer ihm das wurde. Sie hatte ohnedem Kummer genug mit Wakiya-knaskiya, der nicht leben und nicht sterben konnte.
Der kleine Bub war durstig und trank ein paar Schluck. Er schaute den spielenden Mücken zu und schaute auf den Wasserspiegel, der das Sonnenlicht zurückflimmerte. Er war wie ein großes Auge.
Irgendwann einmal konnte Wakiya-knaskiya den verlorenen Augen begegnen, und er würde sie erkennen. Vielleicht waren der Mond und die Büffel nicht hervorgekommen, weil der Alte seine Augen verloren hatte.
Aber eines Tages würde Wakiya die verlorenen Augen finden. Er wartete immer darauf. Er wartete darauf, wenn er des Abends nach dem Mond schaute, der sein Bruder geblieben war; er wartete darauf, wenn sich Blütenblätter unter der Sonne öffneten wie Augenlider. Er wartete in dieser Stunde darauf, wenn er das Wasser über braunem Moder mit der Sonne spielen sah.
Am anderen Ufer des träge und seicht gewordenen Baches tauchte ein Mann auf, oder war es noch ein junger Bursche? Seine Haut war braun, sein Haar schwarz, aber kurz geschnitten. Er war groß und sehr schlank, ganz nackt bis auf Gürtel und Schurz. In einer Scheide am Gürtel steckte ein Messer; der Griff schaute heraus. Wakiya starrte auf diesen Griff, er wußte selbst nicht, warum, aber dieser Griff war anders als andere Messergriffe, die Wakiya kannte, und so mußte auch das Messer ein anderes Messer sein; es setzte nicht breit an, sondern schmal, fast so schlank wie ein Finger.
Wakiya schaute nur und sagte nichts; und der Fremde sagte auch nichts. Wakiya wartete, ob dies einer der jungen Burschen sei, die er mit dem Vater zusammen bei dem schweigenden Zuge der Toten gesehen hatte. Der Gürtel und der lederne Schurz des Fremden waren mit den geschmeidigen langen Borsten des Stachelschweins bestickt, in Rot, Gelb und Blau, wie es dem Sohn aus einem Häuptlingstipi zukam.
Wakiya-knaskiya hatte Alte, Männer, Burschen in hirschledernen Gewändern beim Tanze gesehen, aber einem solchen Mann wie diesem glaubte er noch nie begegnet zu sein, außer bei dem Liede des Vaters. Der Fremde warf sich in den Sand und trank durstig in langen Zügen das schlechte Wasser. Dabei wurde sich Wakiya wieder bewußt, daß die Haare des Burschen kurz geschnitten waren. Ein Feind mußte ihm die langen schwarzen Haare geraubt haben, so, wie man einem besiegten Manne den Skalp nahm. Seit er sich von dem großen Zuge der Toten entfernt hatte, mußte ihm Übles geschehen sein. Der braunhäutige Bursche schien sich satt getrunken zu haben. Er glitt wieder auf; an seinem Körper haftete noch etwas Sand. Ehe er irgendeine weitere Bewegung machte, schaute er auf Wakiya.
Wakiya-knaskiya holte ein einziges Mal tief Atem, dann begann sein Kindergesicht zu leuchten; von der Stirn breitete sich das Leuchten über Wangen und Mund wie fließendes Gold.
Wakiya-knaskiya hatte die verlorenen Augen gefunden. Schwarz schimmerten sie zu ihm herüber, groß, wie Dunkelheit ohne Ende, in die unbekanntes Licht einstrahlt. Wakiya lächelte, denn er war glücklich.
Der Fremde schaute ihn an. Die merkwürdigen Augen trafen sich mit denen Wakiyas. Der Fremde kam über den Bach herüber; gleichgültig lief er mit seinen nackten Füßen durch Wasser und Schlamm. Er blieb bei Wakiya stehen und strich ihm über das lange Haar, das noch kein Feind geschoren hatte. Dann griff er nach dem Eimer.
»Wo steht das Tipi deiner Mutter?«
Wakiya hatte die Stimme des Fremden in sich aufgenommen; dunkel war sie wie das Rauschen des Windes, der dem dürren Lande wohltun und Regen herbeiwehen will; Wakiya kannte sie. Er nahm den Fremden vertrauend an der Hand und führte ihn, und jetzt lächelte auch dieser.
Sie gingen ein Stück miteinander, ohne ein Wort zu sagen. Dann nahm der Fremde Wakiya auf, mit einem einzigen Griff, und Wakiya schlang die Arme um den Nacken des Unbekannten. Keine Angst fühlte Wakiya; alle Furcht fiel von ihm ab, wie welke Blätter vom Baum fallen. Er dachte nicht an die tückische Schlange, nicht an die finster gebliebene Nacht, nicht an seinen Geist, der ihn verfolgen und niederwerfen konnte, nicht an die Kinder, die in der Schule schreien und vor Wakiya davonlaufen würden, nicht an den großen Stock, mit dem die Geister Kinder schlagen konnten.
Wakiya hatte die verlorenen Augen gefunden.
Er war geborgen.
Wie
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