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Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Titel: Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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magere Gestalt unter der zu weit gewordenen Häftlingskleidung, den geschorenen Kopf, den Schädelverband, das eingefallene Gesicht, die Fesseln - den beinahe feindlichen Blick der schwarzen Augen - Joe, den Nachbarsohn, sah sie, den sie immer geliebt hatte, ohne es je aussprechen zu können. Sie vergaß ihre Eltern. Den gut gekleideten, sorgfältig gekämmten, wortgewandten College-Schüler Sidney Bighorn vergaß sie jedoch nicht. Während Joe sich wieder setzte, wandte sie sich diesem zu und sagte in einer Weise, die nicht mehr zu erschüttern schien: »Ich war bei dem Gespräch mit meinen Eltern so erregt, weil ich das Lügen satt hatte.«
    »Was für Lügen?«
    »Was für Lügen? Harolds Lügen. Harold und die beiden Lumpen, Brandy Lex und Black and White, haben Joes Pferde gestohlen. Als Joe sie anhielt und warnte, haben sie nicht die Hände hoch genommen sondern zum Gun gegriffen. Joe mußte sich wehren.«
    Der Anklagevertreter brauste auf. »Das sind Joe Kings Behauptungen. Wenn Ihr Bruder, Miss Booth, betrunken, außer sich, wirklich etwas Ähnliches gesagt haben sollte, nun, so war er nicht ganz zurechnungsfähig. Geben Sie das zu?«
    »Mein Bruder hat oft gelogen, wenn er nüchtern war«, sagte Mary zornig. »Aber im Trunk sprach Harold die Wahrheit. Da kam es aus ihm heraus.«
    Crazy Eagle nahm Sidney das Wort ab.
    »Miss Booth! Sie sprechen erst jetzt. Wollten Sie bis heute das Andenken Ihres Bruders schonen?«
    »Nein, aber meinen Vater und meine Mutter.«
    Sidney Bighorn biß sich auf die Lippen und machte noch einen letzten Versuch gegen die unbequem gewordene Zeugin.
    »Miss Booth! Können Sie sich erklären, warum Queenie King noch Blumen auf das Grab Ihres Bruders brachte? Das ist ungewöhnlich, auch nicht indianische Sitte. Sprechen diese Blumen nicht gegen Ihre Auffassung? Es ist auch bekannt, daß Ihr Bruder und Sie nicht wie gute Geschwister miteinander gestanden haben. Er hat sich sogar einmal veranlaßt gesehen, Sie zu schlagen, und Sie wurden damals in das Hospital eingeliefert. Nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Aber mit Joe King arbeiten Sie bestens zusammen. Sind Ihre Aussagen dadurch beeinflußt? Gestehen Sie das ein?«
    »Joe und ich, wir sind Nachbarn, arbeiten gut zusammen, und seitdem geht es auf beiden Ranches rascher voran. Ist das ein Verbrechen?«
    »Nein. Ihre Aussagen erscheinen aber gefühls- und zweckbestimmt.«
    »Ich habe geschworen, und ich sage die reine Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. - Was aber den Blumenstrauß von Queenie anbelangt, nun, Queenie ist im Kunstinternat sechs Jahre von Weißen erzogen worden und hat sich an einige ihrer Sitten gewöhnt. Sie war aber nicht gewohnt, Leute totzuschießen. Sie glaubte auch, daß wir das Böse überall mit etwas Gutem versöhnen könnten, und so wollte sie dem unfriedlichen Lügengeist, der da in der Erde lag, noch Frieden geben.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Wir haben darüber lange miteinander gesprochen.«
    Mary setzte sich. Ihre letzte Antwort hatte Verwunderung, bei Joe Erleichterung hervorgerufen, von der er sich jedoch nichts anmerken ließ. Mary kümmerte sich nicht mehr um ihre Umgebung. Sie saß da, als ob sie langsam versteinere.
    Vater Isaac Booth wurde aufgerufen. Er verlangte vereidigt zu werden. Die Spannung wuchs von neuem. Ed Crazy Eagle nahm die Verhandlung ganz in seine Hand.
    »Hatte Ihnen Ihr Sohn Harold tatsächlich ein Geständnis abgelegt?«
    »Erkennen Sie an, Mister Booth, daß Ihre Tochter gesagt hat, was hier geschrieben steht?«
    »Sie hat es gesagt zu ihrer und zu unserer Schande.«
    »Hatte Ihr Sohn ein Geständnis abgelegt?«
    »Er war betrunken.«
    »Sagte er zu Ihnen, daß er es gewesen ist, der die Leichen verstümmelt hat?«
    »Das sagt einer ja nur, wenn er betrunken ist.«
    »Er hat es also gesagt?«
    »Ja. Weil er betrunken war.«
    »Wußten Sie, daß Ihr Sohn mit Brandy Lex und Black and White - die wahren Geburtsnamen dieser Verbrecher haben wir noch immer nicht sicher feststellen können -, daß Ihr Sohn mit ihnen in Verbindung stand?«
    »Die Schufte haben ihn vergiftet! Die sind es gewesen, die ihn an den Brandy brachten.«
    »Danke.«
    Der Geschworene Mr. Whirlwind tat einen einzigen hörbaren Atemzug, dessen Bedeutung ungewiß blieb.
    »Missis Booth.«
    Die zusammengeschrumpfte Frau stand in einer seltsam zappelnden Weise vor dem Gericht. Sie scheute sich zu schwören und wurde nicht vereidigt.
    »Sind Sie krank?«
    »Nein... nein.«
    »Sie waren tief

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