Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Titel: Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
mußten Sie ausdrücklich tun.«
    Mary wußte nicht, was sie hierauf erwidern sollte.
    Der Anklagevertreter fixierte sie. »Fahrlässige Aussage - unter Eid. Schwerwiegend. Sie würden nur entlastet sein, wenn Sie auch heute noch die Szene zwischen Ihnen und Ihren Eltern und die angeblichen Aussagen, die Sie dabei gemacht haben sollen, als unerheblich für die Sache oder unzutreffend bezeichnen könnten. Verstehen Sie?«
    Mary zuckte die Achseln und senkte den Kopf.
    Der Anklagevertreter entspannte seine Haltung.
    Er glaubte, die Zeugin Mary bereits in der Zange zu haben, und sein Ton wurde wohlwollend. Mary mußte sich gewinnen lassen.
    »Miss Booth! Wenn sich eine solche erstaunliche Szene zwischen Ihnen und Ihren Eltern tatsächlich abgespielt hat, waren Sie ohne Zweifel sehr erregt?«
    »Ja.«
    »Sie waren übermäßig erregt?« »Ja.«
    »Können Sie sich unter solchen Bedingungen überhaupt noch genau entsinnen, was Sie gesagt haben?«
    »Ja.«
    »Ja?! - Sie waren übermäßig erregt. Ist es nicht möglich, daß Sie in dieser Erregung Dinge gesagt haben, die Sie sich in einem solchen Augenblick erst einbildeten?«
    »Sie meinen, ich habe gelogen?«
    »Aber nein. Ich meine, Ihre Aufregung und Ihr Gefühl haben Sie mitgerissen, haben Sie gehindert, vernünftig zu überlegen. Nicht wahr? Als Sie wieder ruhig denken konnten, haben Sie dieses höchst sonderbare Dokument hier nicht unterschrieben. Obgleich ein angesehener Lehrer wie Mister Ball es Ihnen vorlegte, haben Sie sich geweigert zu unterschreiben. Das ist bezeichnend, bezeichnend auch für Ihr Verantwortungsbewußtsein.«
    »Es sollte ja doch vor Gericht kommen.«
    »Eben. Sehr richtig. Und hier vor Gericht können Sie nun frei und unabhängig Stellung nehmen.«
    »Ja.«
    »Was möchten Sie, bei ruhiger Überlegung, zu der Sache sagen?« »Es stimmt, was die drei Burschen aufgeschrieben haben.« Sidney Bighorn konnte seinen Ärger nur mit Mühe beherrschen. Die Geschworenen fuhren auf.
    Ein leiser Ruf war zu hören. »Mary!« Die verhutzelte kleine Frau, Marys Mutter, hatte ihn ausgestoßen.
    Der Richter bat: »Ruhe bitte.«
    Sidney Bighorn hatte sich wieder gefaßt und nahm den Lehrerton an. »Es stimmt? Miss Booth, überlegen Sie noch einmal. Es stimmt vielleicht, daß Sie an jenem Abend so oder ähnlich gesprochen haben. Aber stimmt denn das, was Sie sagten? Ich meine, können Sie beschwören, daß Ihr Bruder Harold so und nicht anders geredet hat, ehe er sterben mußte?«
    »Ich habe ja schon geschworen.«
    »Miss Booth! Aus welchem Grunde sind Sie damals so erregt gewesen?«
    Mary zögerte mit der Antwort.
    »Es wäre besser, Miss Booth, Sie würden uns aufrichtig und vollständig Auskunft geben, ganz besonders, da der Verdacht eines fahrlässigen Verschweigens unter Eid schon auf Ihnen lastet. Ihr Bruder, so wollen Sie gesagt haben, war außer sich und betrunken, an dem Tag, an dem er die wirklich erstaunliche Geschichte aus den Bad Lands Ihren Eltern dargestellt haben soll. Glauben Sie, daß das wirre Zeug, das er vor seinen Eltern und vor Ihnen geredet haben soll - nach Ihrer Aussage geredet haben soll -, daß das auch nur irgendwie Hand und Fuß gehabt haben könne? Haben Sie ihn überhaupt richtig verstanden, damals? Waren Sie nicht auch zu jener Stunde übermäßig erregt? Antworten Sie zunächst auf diese Frage: Waren Sie auch damals übermäßig erregt?«
    »Nicht übermäßig.«
    »Sie waren erregt. Ein Mißverständnis scheint nicht ausgeschlossen. Wollen Sie nicht doch zugeben, warum Sie bei dem angeblichen Geständnis Ihres Bruders nur erregt, bei der Szene mit Ihren Eltern und der Rückerinnerung aber übermäßig erregt gewesen sind? Wenn Ihr Bruder damals wirklich ein Verbrechen eingestand, mußte es nicht gerade umgekehrt sein?«
    Mary antwortete auch jetzt nicht gleich. Sie schien verstört und verwirrt.
    Joe King erhob sich. Er hatte kein Zeichen des Richters erhalten, daß er sprechen dürfe, sagte auch kein Wort, brachte aber eben dadurch die beiden Polizisten in Unruhe, die irgendeine Ordnungswidrigkeit oder sogar Tätlichkeit in dem Augenblick befürchteten, in dem es um Joe Kings Sache schlecht bestellt zu sein schien. Die Polizisten packten ihn an. »Setzen Sie sich!«
    Joe King gehorchte nicht sofort; er stemmte sich gegen den Polizeigriff. Alle Aufmerksamkeit im Saal war daher auf ihn gerichtet. Auch Mary sah ihn; zum erstenmal seit Beginn der Verhandlung schaute sie ihn voll an und nahm alles wahr und in sich auf; die hohe

Weitere Kostenlose Bücher